Karl Neumann: Glaubenskurs Online26. Glaubensbrief, Januar 2005:

zum Ausdruck:PDF-Zeichen-pdf.Format (108 kb)

Liebe nur, und dann tu was du willst

Es kam ein neuer Kaplan in die Stadt, und weil im Pfarrhaus kein Platz war, bezog er eine Wohnung im Haus von drei frommen, ältlichen Damen. Diese hatten natürlich ein waches Auge auf den jungen Priester. Und schon bald hatten sie Grund genug, dem Herrn Stadtpfarrer Mitteilung zu machen. Da war der Neue doch tatsächlich im Sportdress herumgelaufen, ja, hatte sich nicht gescheut, auf seinem Balkon einen Handstand zu vollführen. Und das Allerschlimmste: sie hatten ein Gespräch belauscht, das er mit einer jungen Dame führte. Dabei hatte er ihr gesagt: "Auf die Liebe kommt es an!". Ein höchst schockierender Satz, den man sogleich in einem Brief dem hochwürdigsten Herrn Bischof meldete.

Ich habe diese Geschichte von Adalbert Seipolt mit Vergnügen gelesen, als ich selber gerade so alt war wie jener Kaplan.

"Auf die Liebe kommt es an!". Die drei frommen Betschwestern, die so gern denunzierten, ahnten nicht, dass jenes verdächtige Wort von Jesus stammen könnte. Jedenfalls ist es die Quintessenz dessen, was Jesus meinte. Und es könnte auch die Quintessenz unseres letzten Glaubensbriefes sein. Der Kirchenlehrer Augustinus hat es noch schärfer gefasst. Er sagte: "Dilige, et quod vis fac. Liebe nur, und dann tue, was du willst". Das heißt: Wenn du nur die Liebe hast, auf die es vor Gott ankommt, dann bist du völlig frei. Du kannst tun, was du willst – solange es aus der Liebe kommt, ist es vor Gott gut.

 

Es roch nach Freiheit

die Freiheit genießen...

Das war eine Befreiung. Ich trug es meinen Schülern auf dem Gymnasium in Engelskirchen vor, denen ich auch jene Geschichte von Adalbert Seipolt vorgelesen hatte. Und so wie das Wort Jesu vom Hauptgebot der Liebe mit dem Gestrüpp der pharisäischen Gesetze aufräumte und den Blick auf das Wesentliche wieder freilegte, so auch damals nach dem Konzil. Wir spürten eine ähnliche Befreiung wie sie die Zuhörer Jesu gespürt haben müssen. Der Wust der oft pedantischen und bisweilen sinnlosen Gesetze und Vorschriften lichtete sich. Liebe nur, und dann tue was du willst. Darin ist die ganze Moral enthalten.

Damals fand ich das neu und revolutionär, und meine Schüler spürten "die Freiheit, die Christus uns geschenkt hat" (Paulus).

Heute würde ich das nicht mehr so ungeschützt sagen. Nicht als ob es falsch wäre. Aber es ist oft und oft missverstanden worden. Sodass wir schließlich sarkastisch sagten: "Liebe, und tu was du willst. Wenn du das Erste nicht kannst, dann tu wenigstens das Zweite!" Die Liebesmoral Jesu diente dazu, so ziemlich alles zu rechtfertigen. Leider diente die Abschaffung all der vielen Gebote und Verbote der katholischen Moral sehr oft nicht dazu, nun "mit ganzem Herzen und ganzer Seele" sich auf das große Gebot der Liebe zu konzentrieren, sondern sich auf diesem Kahlschlag auszuruhen. (Dass es von dem, was ich sagte, auch viele Ausnahmen gab, ist selbstverständlich.)

 

Liebe aus der Bildzeitung

Liebe aus der 'BILDzeitung'"Liebe nur, und dann tu was du willst!". Das klang gut. Das roch nach Freiheit. Die kleine Vorbedingung "Liebe nur", die glaubte man leicht zu erfüllen. Denn natürlich liebte man. In der Bildzeitung hieß es doch: "Seid nett zueinander!" Und wir waren doch im allgemeinen recht nett zueinander.

Doch die Liebe, von der Jesus spricht, meint etwas anderes als nett zueinander sein. Einen zu lieben, der mich auf die eine Backe schlägt, ist nicht leicht. Auch den Unsympathischen zu lieben, ja selbst seinen Feind, ist das leicht? Gott nicht nur einen guten Mann sein lassen, sondern ihn wirklich lieben "aus ganzem Herzen, aus allen Kräften" – erst wer das alles zu tun versucht, wenn auch mit Rückschlägen, kann sagen: "Ich liebe, und nun tue ich, was ich will. Die Liebe macht mich frei. Sie macht mich kreativ. Sie gibt mir Ideen, wie ich mich für den Mitmenschen einsetzen kann. Sie öffnet mir die Augen, und ich sehe jetzt Not, wo ich vorher keine sah. Sie gibt mir Freude am Gebet, wo vorher nur Langeweile herrschte und Ratlosigkeit. Ich brauche jetzt keine Gesetze mehr, "denn die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren, und alle anderen Gebote sind in dem einen Satz zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (Paulus, Römerbrief 13,9).

Der Kaplan in der Geschichte hatte schon Recht. Auf die Liebe kommt es an. Man muss sich nur von Christus sagen lassen, was Liebe heißt. Tut man es nicht, dann bleibt von der berühmten christlichen Freiheit nur ein riesiger Kahlschlag.

Einen frohen Gruß

Ihr Karl Neumann
neumann@glaubensinformation.de