Karl Neumann: Glaubenskurs Online23. Glaubensbrief, Oktober 2004:

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Die ungeliebte Kirche

Steigen wir endlich vom Himmel auf die Erde herunter! Nachdem wir zu den sublimen Höhen der Dreifaltigkeit emporgestiegen sind, soll heute die Kirche unser Thema sein. Ein heißes Thema, denn wenn sie das Wort "Kirche" hören, sehen viele rot.

KREUZZUG - Illustration zum 23. Glaubensbrief von Schnupperkurs GlaubenDie Kirche taucht vor allem durch Skandale in den Schlagzeilen auf. Die Kirche verbietet den Priestern, zu heiraten. Und den Frauen, Priester zu werden. Die Kirche, das sind ein paar verkalkte alte Männer in Rom, hoffnungslos rückständig, und vor allem einer: der Papst. Die Kirche ist intolerant, dogmatisch, unterdrückt die Freiheit, verbietet die Pille und wer weiß was sonst noch. Kurz: ihr Image ist schlecht. Viele treten deshalb aus. Im Jahre 2002 haben 119.405 Menschen allein der katholischen Kirche den Rücken gekehrt. Gehört die Kirche bald der Vergangenheit an?

Das finstere Mittelalter

Apropos Vergangenheit. Da ist das "finstere Mittelalter", in dem die Kirche eine große Macht hatte. Aber was hat sie damit angestellt? Kreuzzüge gepredigt, Ketzer bei lebendigem Leibe verbrannt. Unschuldige Frauen als Hexen verbrannt, Religionskriege geführt. Die Liste ließe sich verlängern...

BODENPERSONAL - Illustration zum 23. Glaubensbrief von Schnupperkurs GlaubenKein Wunder, dass viele, die den Glaubenskurs mitmachen, sich sagen: An Gott glauben ist ja gut und schön, auch an Jesus Christus. Aber an die Kirche glauben? Wenn ich diese Kröte schlucken muss, dann nein danke! Oder wie ein Soldat der Luftwaffe sagte: "Mit Gott komme ich ja ganz gut klar. Null Problemo. Bloß mit dem Bodenpersonal, da haut es nicht so recht hin."

Das leidige Bodenpersonal

Nun weiß unser Luftwaffensoldat allerdings sehr gut, dass es ohne Bodenpersonal nicht geht. Es können nicht alle zur fliegenden Truppe gehören. Will sagen: Ohne Gottes Bodenpersonal, die Kirche, geht es nicht. Wäre es einfach ein arroganter Haufen, der sich willkürlich die Herrschaft über die Menschen angemaßt hätte, dann könnte man diese Kirche vergessen, ja dann müsste man sie bekämpfen. Wenn die Kirche sich nicht von Christus herleiten könnte, hätte sie keine Daseinsberechtigung. Doch sie leitet sich von Christus her. Zwar kann man kaum einen einzelnen Akt Jesu nennen, wo er sozusagen juristisch eine Kirche gegründet hätte. Aber er wusste und wollte, dass seine Jüngergemeinde nach seinem Tod weiterleben würde. Er gab ihr Aufträge und Weisungen für die Zukunft. Und diese Jüngergemeinde ist die Kirche. Die Kirche, das ist die Gemeinschaft der Jünger Jesu, das ist die Gemeinde der Glaubenden. Die von Jesus ausgewählten Apostel hatten Leitungsfunktion und Autorität in dieser Jüngergemeinde.

So ist es noch heute. Kirche sind nicht nur "die da oben". Kirche sind alle, die getauft sind und an Christus glauben. Und auch die Apostel haben Nachfolger, die dieses neue Volk Gottes leiten und lehren sollen.

Wenn Sie also zum Glauben kommen, dann stehen Sie nicht allein. Sie sind Teil einer großen Gemeinde, eines großen Organismus, durch den der gleiche Blutstrom fließt: der Blutstrom Christi, denn die Kirche ist der Leib Christi. Keiner kommt isoliert zum Glauben, alle sind Teil der Kirche.

Keine Vertuschungsstrategie

Doch vielleicht ist das, was ich jetzt sagte, gar nicht einmal das, woran die Zeitgenossen vor allem Anstoß nehmen. Dass Gott auch ein "Bodenpersonal" haben muss, sehen viele ein. Was abstößt, ist die Weise, wie sich dieses "Bodenpersonal" aufführt.

Und da möchte ich wirklich nicht alles verteidigen, was "die Kirche" im Lauf ihrer 2000jährigen Geschichte angestellt hat. Ketzerverbrennungen, Hexenwahn, Inquisitionsgerichte, Kriege um der Religion willen - das alles finde ich genauso abscheulich wie der schlimmste Kirchenfeind. Vielleicht gab es einmal eine Zeit, wo man als "guter Katholik" das alles verteidigen oder wenigstens entschuldigen musste. Ich weiß es nicht. Ich habe mich jedenfalls seit meiner Schülerzeit gegen eine solche Vertuschungsstrategie gewehrt. Und heute ist es sogar so, dass der Papst selber für all diese Fehler und Sünden der Kirche feierlich um Verzeihung gebeten hat. (Ob das mit den nötigen Konsequenzen geschah, ist eine andere Frage.)

TAIZE - Illustration zum 23. Glaubensbrief vom Schnupperkurs Glauben

Man kann auch nicht zur Verteidigung sagen: "Die Kirche besteht halt auch nur aus Menschen, und wo Menschen sind, da menschelt es. Das ist doch ganz natürlich."

Ja, wenn die Kirche nur irgendein Verein wäre, könnte man das als Entschuldigung gelten lassen. Doch sie beansprucht ja, mehr zu sein als irgendein Verein. Das ist ja gerade das Ärgerliche für viele: die Kirche beansprucht, mehr zu sein, beansprucht den Menschen Vorschriften zu machen, sie zu belehren und zu erziehen, und ist doch allzu oft selbst nicht besser als die anderen.

Ich bin doch kein Funktionär!

Es war vor einigen Jahren in München. Nach einer Autorenlesung von Alissa Walser, der Tochter von Martin Walser, saßen wir mit der Autorin bei einem Glas Wein zusammen. Es waren etwa ein Dutzend Leute. Als ich mich als katholischer Priester "outete", war das Erstaunen groß. Natürlich kam das Gespräch bald auf "die Kirche". "Warum dürfen die Priester nicht heiraten?" "Warum verbietet der Papst die Pille?" und viele andere Fragen. Ich sagte ehrlich meine Meinung, die nicht immer mit der des Vatikans übereinstimmte. Das war für meine Gesprächspartner wie eine Offenbarung. Sie hatten wahrscheinlich fast nie einen Priester "live" erlebt. Den Priester stellten sie sich als einen Funktionär der Kirche vor, der stets auf Parteilinie liegen müsste, und waren erstaunt, hier einem Menschen zu begegnen.

Aber der Priester, und erst recht der gläubige Laie, ist kein Funktionär. Und die Kirche ist keine Partei. Ich glaube an Gott und nicht an die Kirche. Jesus Christus, so wie er in der Bibel bezeugt wird, ist für mich der Maßstab, an dem sich auch die Kirche messen lassen muss. Das ist keine Ketzerei, die Kirche selbst sieht es so. Der Atheist Ernst Bloch hat es treffend formuliert: "Die Kirche hatte durch all die Jahrhunderte die Bibel immer bei sich als ihr schlechtes Gewissen".

Das soll nun nicht das abschließende Wort zum Thema "Kirche" sein. Wir können im nächsten Brief neue Seiten an ihr entdecken.

Vielleicht möchten Sie mir zu diesem kontroversen Thema eine Mail schicken? Ich würde mich freuen

Ihr Karl Neumann
neumann@glaubensinformation.de