Karl Neumann: Glaubenskurs Online22. Glaubensbrief, September 2004:

zum Ausdruck:PDF-Zeichen-pdf.Format (151 kb)

 

Der kniffligste Punkt des Glaubens

Ich habe Ihnen am Anfang unseres Schnupperkurses versprochen: Wenn Sie Monat für Monat dabei bleiben, werden Sie einen Überblick über die Grundthemen des christlichen Glaubens bekommen. Nun, wir haben über Gott den Vater gesprochen, über Jesus Christus und den Heiligen Geist. Damit sind wir vorbereitet, ein wenig über den dreifaltigen Gott – oder wie man meist sagt: die Dreifaltigkeit – nachzudenken.

Das Kind und das Meer

Foto zur Illustration: das Kind und das Meer"Dreifaltigkeit? Jetzt wird’s aber kompliziert!" denkt wohl mancher. Und auch ich habe oft gehört: "Die Dreifaltigkeit ist ein undurchdringliches Geheimnis. Wenn du darüber nachdenken willst, dann beißt du dir die Zähne aus!".
Und dann erzählte man mir die Geschichte vom heiligen Kirchenvater Augustinus. Der schrieb gerade ein dickes Buch über die heiligste Dreifaltigkeit. Während er darüber nachdachte, wanderte er am Strand des Mittelmeeres entlang. Plötzlich sah er ein kleines Kind, das im Sand spielte. Es hatte sich, wie die Kinder so tun, in den Sand eine kleine Vertiefung gemacht und lief jetzt immer wieder zum Meer, um mit einer Muschel Wasser in seine kleine Grube zu füllen. "Kleiner, was machst du denn da?" fragte Augustinus leutselig. "Ich fülle das Meer in die Grube, die ich gemacht habe" antwortete das Kind. "Aber Kleiner, das ist doch Wahnsinn! Wie kannst du mit deiner kleinen Muschel das ganze riesige Mittelmeer in deine winzige Grube füllen?" sagte Augustinus vorwurfsvoll. Da antwortete das Kind: "Leichter würde das ganze Meer in meine kleine Sandgrube passen als das Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit in deinen menschlichen Verstand".

Unser Glaube kennt kein Denkverbot

Diese Geschichte pflegen die Prediger regelmäßig zu erzählen, wenn sie über das Geheimnis der Dreifaltigkeit reden. Aber ehrlich gesagt, mir hat die Geschichte nie gefallen. Denn ich höre aus ihr so etwas wie ein Denkverbot heraus. Doch ein frommes Denkverbot scheint mir mitnichten fromm und christlich zu sein. Ich glaube, wir dürfen und sollen über alles nachdenken, auch über die Dreifaltigkeit. Gewiss, sie ist ein tiefes Geheimnis. Aber das ist doch unser ganzer Glaube, das ist die Menschwerdung des Gottessohnes, das ist seine Auferstehung. Und schließlich: der christliche Gott selbst ist ein tiefes Geheimnis - nicht nur, weil er dreifaltig ist.


In dieser Beziehung habe ich von Karl Rahner gelernt. Für ihn ist das Geheimnis im Christentum nicht etwas, das überwunden werden muss, das sich mit dem Nachdenken auflöst, sondern je mehr man nachdenkt, desto tiefer wird das Geheimnis. Man soll also darüber nachdenken, nicht um es zu "knacken", sondern um tiefer hineinzukommen. Und wenn einmal, wie wir Christen hoffen, unser Glauben in Schauen übergeht, dann ist es nicht so, dass Gott für uns kein Geheimnis mehr wäre, sondern im Gegenteil, wir sind dann diesem großen Geheimnis unausweichlich nahe gekommen, aus dem wir immer schon leben. - Das Reden vom Geheimnis im Christentum hat also nichts mit Geheimniskrämerei zu tun.

Doch zurück zur Dreifaltigkeit. Sie werden vielleicht staunen: in der Bibel kommt das Wort "Dreifaltigkeit" nicht ein einziges Mal vor. Auch nicht im Glaubensbekenntnis, das beim Gottesdienst gebetet wird. Die Bibel spricht von Vater, Sohn und Geist. Und wem das Wort "Dreifaltigkeit" zu abstrakt ist, der kann auch von Vater, Sohn und Geist sprechen.
Der Sache nach ist das, was wir heute Dreifaltigkeit nennen, schon in der Bibel enthalten, aber sozusagen noch im Kern und einschlussweise. Es brauchte Jahrhunderte des Nachdenkens, bis die Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes - oder sagen wir lieber; von dem dreieinen Gott - voll ausgebildet war. Wie kam es dazu?

Wie kam man auf die Dreifaltigkeit?

Foto zur Illustration: Ikone von der heiligsten Dreifaltigkeit (von Andrej Rubljew)Ich meine, es war so: Die Christen haben vom Judentum den Eingottglauben übernommen. Auch die besten Köpfe der griechischen Philosophen hatten die Vielgötterei der griechischen Religion durchschaut und waren zur Überzeugung von einem einzigen Gott gelangt. In gewisser Weise auch die römischen Philosophen der Stoa. Die Tendenz ging also hin zum Eingottglauben, und das war ein Grund, warum die christliche Mission so erfolgreich war.

Nun haben die Christen aber Jesus Christus als Gottes Sohn verehrt. Dieses Wort schillert allerdings in der Bibel in vielen Nuancen. So blieb in der alten Christenheit immer wieder die Frage lebendig: "Wer ist eigentlich dieser Jesus?" (vgl. den 15. Glaubensbrief). Steht der Sohn nicht doch unter dem Vater? Ist er vielleicht mehr als ein Mensch, aber weniger als der eine Gott? Ist er vielleicht das erste und vornehmste Geschöpf Gottes? So meinte ein Priester namens Arius. Das hätte den Vorteil, dass sich das Christentum dann leicht mit dem Eingottglauben vereinbaren ließe. Aber das Konzil von Nicäa (325) verurteilte Arius, und im Konzil von Konstantinopel (381) wurde von Christus gesagt: "Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott".

Ergeben sich daraus aber nicht zwei Götter: Gott Vater und Gott Sohn? Doch das kann nicht sein, denn der Eingottglaube ist das Fundament des Christentums. Also müssen Vater und Sohn (und der Heilige Geist) zusammen der eine Gott sein. Eine göttliche Natur in drei göttlichen Personen, so hat man es damals ausgedrückt. Wenn man also an Jesus als wirklichen Sohn Gottes glaubte, und zugleich am Eingottglauben festhielt, dann ergab sich damit notwendig die Idee der Dreifaltigkeit (oder wenigstens "Zweifaltigkeit").

Wie man sich das nun vorstellen kann, dass Vater, Sohn und Geist nur ein Gott sind, das ist in der Tat schwierig zu sagen. Es scheint mir auch nicht so wichtig, sich darüber in Spekulationen zu ergehen. Immerhin ergeben sich schon aus der Heiligen Schrift einige Verständnishilfen. Vater und Sohn sind ja Wörter, die eine gegenseitige Beziehung und Bezogenheit ausdrücken. Denken wir diese Bezogenheit nun so eng, dass Jesus sagen kann: "Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir ist?" (Johannes 14,10), dann kann man doch schon von einer Einheit zwischen Vater und Sohn sprechen. Der Vater ist im Sohn, und der Sohn im Vater. Das Band der Einheit und der Liebe zwischen Vater und Sohn ist der Heilige Geist. Er ist die persongewordene Liebe.

Heftige Kritik von Judentum und Islam

Judentum und Islam kennen diesen dreifaltigen Gottesbegriff nicht, ja lehnen ihn radikal ab. "Wie kann Gott einen Sohn haben? Ist das nicht eine primitive Vermenschlichung Gottes, ja eine Gotteslästerung? Ist das Christentum nach all den Anstrengungen, zu einem reinen Eingottglauben zu kommen, nicht wieder zurückgefallen in eine Art Vielgötterei?" Ähnliche Einwände kann man von Juden und Muslimen und auch von anderen hören. Haben sie nicht teilweise Recht? Ist der dreieinige Gott der Christen nicht doch eine Art Kompromiss oder Verwässerung des Eingottglaubens?
Nein, das ist er nicht, und man kann das zeigen.

Foto zur Illustration: die SONNE


"Gott ist die Liebe" (1. Johannesbrief 4,16), das ist die christliche Gottesidee. Aber er ist erst wirklich ein Gott der Liebe, wenn auch in Gott ein Kreislauf der Liebe existiert. Wenn ein Strom der Liebe zwischen Vater, Sohn und Geist hin und her fließt, ein Feuerstrom im Inneren dieser großen Sonne. Gott ist Gemeinschaft, und darum kann er Gemeinschaft begründen. Gott ist Liebe, und darum kann er Liebe stiften.

Ihr Karl Neumann
neumann@glaubensinformation.de