Karl Neumann: Glaubenskurs OnlineSiebter Brief, Juni 2003:

 

Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.

Ich habe neulich einen seltsamen Satz gelesen: "Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht". Das hört sich wie ein paradoxes Spiel mit Worten an, ist es aber nicht. Es ist vielmehr eine tiefe Einsicht über Gott, die wahrscheinlich für die meisten neu ist. Es will sagen:

Es gibt viele Dinge in der Welt: sichtbare und unsichtbare Dinge, Personen, Sachen und Kräfte. Nun denken wir wohl meistens: auch Gott ist eines von diesen Dingen bzw. Personen, und der Streit zwischen Gläubigen und Ungläubigen geht darum, ob ein solches geheimnisvolles Wesen irgendwo existiert oder nicht. Dann sind die Gläubigen natürlich wie die "Hinterweltler", wie sie einer genannt hat, die hinter dieser Welt noch irgendwo ein Wesen und eine Welt erkennen wollen, die niemand sonst erkennen kann. Sie wären dann im Prinzip wie Leute, die an fliegende Untertassen glauben, also an irgendwelche unbekannten Dinge, die sonst niemand gesehen hat.

Gott ist in dieser Welt, und diese Welt in Gott

Nun ist aber Gott nicht eines von den vielen Wesen, die in der Welt (oder hinter der Welt oder über der Welt) existieren. Er ist überhaupt kein Einzelwesen, und sei es das höchste, und sei es der König der Welt. Denn wäre er das, so wäre er begrenzt. Doch Gott ist unbegrenzt. Er ist der Unendliche. Deshalb (und auch aus anderen Gründen) kann man mit Recht sagen: "Einen Gott, den es gibt (so wie es die anderen Dinge und Personen in der Welt gibt), gibt es nicht".

Hans Küng fasst das zusammen: "Gott ist in dieser Welt und diese Welt in Gott. Es gilt ein einheitliches Wirklichkeitsverständnis. Gott ist nicht nur als Teil der Wirklichkeit ein (höchstes) Endliches neben Endlichem. Vielmehr ist er das Unendliche im Endlichen, die Transzendenz in der Immanenz, das Absolute im Relativen."

Ist Gott eine Person?

"Aber", sagen Sie nun vielleicht, "Sie haben doch selbst im letzten Glaubensbrief gesagt, dass Jesus Gott als Vater angesehen hat. Ein Vater ist doch beim besten Willen nur eine Person neben anderen Personen". Das stimmt. Und darum ist sogar der Vatername, mit dem Jesus Gott benannt hat, ein Bild. Wenn wir sagen: Gott ist Person. Wir Christen glauben an einen persönlichen Gott, dann ist selbst die Bezeichnung "Person" nur ein Bild. Gott ist anders als die menschlichen Personen, die allein wir kennen und die alle begrenzt sind (oft sehr begrenzt!).

Doch Bilder sind wie Pfeile, die uns die Richtung zeigen, auch wenn sie nicht am Ziel ankommen. Wenn wir Gott Person oder Vater nennen, dann meinen wir: Gott ist ein Du, das ich anreden kann, das mich kennt und liebt. Der Urgrund der Welt ist nicht nach dem Modell einer Sache zu denken, sondern nach dem Modell einer Person. Das Verhältnis zwischen Mensch und Gott ist so wie das Verhältnis zwischen zwei Personen. Und auf dieses richtige Gottesverhältnis kam es Jesus an, nicht so sehr auf einen chemisch reinen Gottesbegriff.

 

Er ist wie das Meer

So stellt die Bibel Gott einmal als Person dar, und dann auch wieder mit ganz anderen Bildern, die die andere Seite der Wirklichkeit Gottes darstellen. "In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir", sagt Paulus über Gott (Apostelgeschichte 17,28).

Gott ist hier wie die Luft, die uns umgibt und durch die wir leben. Er ist wie ein unendliches Meer, von dem wir getragen werden. Was in unserer unbeholfenen Bildersprache Gegensätze sind: Person und Meer, sind es bei Gott nicht. Bei ihm fallen die Gegensätze zusammen. An seinem Geheimnis müssen unsere menschlichen Vorstellungen von ihm immer wieder neu zerbrechen.

 

Der Kindergott - gar nicht so dumm

Ich sprach im letzten Brief vom halbierten Gott, von schiefen Gottesbildern. Damit wollte ich sagen: Jene Gottesbilder sind nicht ganz falsch, bloß schief; jener Gott ist nicht total verkehrt, bloß halbiert und unvollständig.

Nehmen wir das erste jener Bilder: den Kindergott. Und zwar jetzt die positive Seite. Ist das kindliche Gottesbild so falsch? Sind Kinder zu dumm, um Gott zu begreifen? Sind sie zu klein dafür? Weiß Gott nicht! Wenn Jesus Gott unseren Vater nennt (einen Vater, der zugleich mütterliche Züge hat), dann müssten die Kinder doch die ersten sein, die das begreifen.

Jesus ruft einmal aus: "Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast" (Matthäus 11, 25). Die Unmündigen, das sind die Kinder und die kleinen Leute. Sie haben Jesus besser verstanden als die Großkopfeten, sie haben Gott besser verstanden. Darum sagt Jesus: "Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen" (Matthäus 18,3 ).

Wer ein Kind beobachtet hat, wie es ganz ungekünstelt mit Gott spricht, wie es mit Gott umgeht wie mit einem nahen Verwandten und einem großen Freund, wie es unter seinen Augen lebt und ihm immer wieder Zeichen seiner Liebe gibt, der versteht, dass ein Kind Gott tiefer erfassen kann als die meisten von uns. Denn es kommt auf die Praxis an und nicht auf die Theorie, auf die richtige Beziehung zu Gott und nicht auf einen ausgefeilten Begriff von ihm.

Und trotzdem...

Und trotzdem: die tiefen und vielleicht schwierigen Überlegungen, die wir heute angestellt haben, scheinen mir nicht unnütz. Es ist wichtig zu wissen, dass Gott kein unbekanntes Wesen ist, das sich hinter dieser Welt versteckt; dass die Christen, die an Gott glauben, weder "Hinterweltler" sind noch den Leuten gleichen, die an UFOs glauben.

Für Leute, die in Gott immer noch den "Alten mit dem Bart" sehen oder ein nebelhaftes "höchstes Wesen", ist es wichtig, eine kleine Ahnung davon zu bekommen, wer der Gott der Christen wirklich ist. Wohlgemerkt: mehr als eine kleine Ahnung konnte es nicht sein.

Gott ist so groß, dass ihn auch der tiefste Denker nicht erfassen kann, und er ist so einfach, dass ihn auch ein Kind begreift. Ist das ein Widerspruch? Nicht bei Gott. Im Gegenteil: es zeigt gerade seine Göttlichkeit.


Mit einem herzlichen Gruß
Ihr

karl.neumann@glaubensinformation.de