66. Glaubensbrief - 5. Feb. 2012   PDF-Zeichen als PDF-Datei (141 kB)

Papst Johannes XXIII.:
Ein „Nobody“ wird Papst
   

Ein Konzilsteilnehmer
begrüßt Papst Johannes XXIII.
Foto: Life-Archiv auf google.de

Auch Päpste haben einmal klein angefangen. Angelo Roncalli (der spätere Papst) sogar als armer Bauernjunge in Sotto il Monte, Norditalien. Doch im Unterschied zu manchen anderen hat Roncalli auch als Papst seine Herkunft nicht vergessen. Er machte einmal einen Spaziergang in den Vatikanischen Gärten, da sah er ein paar Arbeiter einen Graben auswerfen. Zum Schrecken des Protokollchefs riss er sich von seiner vornehmen Entourage los und ging auf die Arbeiter zu, um ein wenig mit ihnen zu plaudern. „Auch meine Eltern hatten Schwielen an den Händen von schwerer Arbeit!“, sagte der Papst. „Ich weiß, was schwere Arbeit heißt“.

Doch blenden wir einige Jahrzehnte zurück. Der Vatikan hatte ihn zum päpstlichen Gesandten in Bulgarien gemacht. Was wie eine Ehrung aussah, entpuppte sich bald als Abstellgleis. Nur einige Monate hatte er bleiben sollen, aber nach neun Jahren saß er immer noch in diesem gottverlassenen Winkel. Eine Beförderung wäre längst fällig gewesen.

Roncalli schreibt in sein Tagebuch:
„Wie leicht vorauszusehen war, brachte mir dieses Amt viel Kummer und Sorge. Aber – es ist sonderbar – dieser Verdruss kam nicht durch die Bulgaren, für die ich tätig bin, sondern von den Zentralorganen der kirchlichen Verwaltung. Es ist eine Form von Kränkung und Demütigung, die ich nicht erwartet habe und die mich sehr schmerzt.“ (S. 232)

„Stimmen, die flüstern: Höher hinauf!“

Nach neun langen Jahren macht man ihn (in einem etwas höheren Rang) zum päpstlichen Delegaten in der Türkei. Doch das bedeutet kaum einen Aufstieg. Wieder schreibt Roncalli in sein Tagebuch:
„Wohl fehlt es in meiner Umgehung nicht an Stimmen, die flüstern: ‚Höher hinauf, höher hinauf!’ Solchen Schmeicheleien gebe ich mich aber nicht hin, die ja auch für mich eine Versuchung sind. Ich bemühe mich aufrichtig, diese trügerischen und hinterhältigen Stimmen zu überhören. Ich betrachte sie als Scherz, ich lächle und gehe darüber hinweg. Für das wenige, das Nichts, das ich in der heiligen Kirche bin, habe ich schon meinen Purpur empfangen: die Schamröte darüber, diesen ehrenvollen und verantwortungsvollen Posten zu bekleiden, obwohl ich so wenig wert bin. Welch ein Trost, dass ich mich frei fühle von diesem Streben nach neuen Posten und höherem Ämtern.“ (S. 255)

Doch einige Jahre später flatterte ein Telegramm in Roncallis Haus. Er konnte es kaum glauben, als er es las. Darin stand die Ernennung Angelo Roncallis zum päpstlichen Nuntius in Frankreich – einer der angesehensten Posten, die die vatikanische Diplomatie zu vergeben hatte. Man sagt, der neue Papst, Pius XII., habe ihn für diesen Posten vorgeschlagen.

Doch damit hörten seine Leiden an Papst und Kurie nicht auf. Roncalli war mittlerweile Patriarch von Venedig und Kardinal geworden. Die sozialistische Partei Italiens hielt einen Kongress in Venedig ab. Roncalli war durchaus kein Sozialist, aber er schrieb ein freundliches Grußwort und ließ es überall in der Stadt anbringen. Einigen konservativen Kreisen missfiel das sehr, aber noch schlimmer war die stille Missbilligung, die ihm aus Rom entgegenschlug. „Unser guter Roncalli hat es mal wieder geschafft“ flüsterte man hinter vorgehaltner Hand. Es traf Roncalli, wenn einige ihm vorwarfen, dass seine Nachsichtigkeit in Wirklichkeit Schwäche, sein Streben nach Einfachheit in Wirklichkeit Einfältigkeit sei. Aber Roncalli war entschlossen, Liebe und Geduld an die erste Stelle zu setzen, und das, so schrieb er, um jeden Preis; auch auf das Risiko hin, ein Schwächling oder ein Niemand zu scheinen und beurteilt zu werden.

Ein wenig Menschlichkeit in den Vatikan bringen

Einer der zahlreichen Springbrunnen
in den vatikanischen Gärten.

Wie kann ein solcher Mann, dem alles Karrieredenken zuwider war, Papst werden? Man kann als Christ natürlich sagen: Das war die Führung des Heiligen Geistes. Das ist wohl wahr, aber man kann auch kirchenpolitische Gründe nennen. Roncalli war ein Kompromisskandidat zwischen der konservativen und der progressiven „Partei“ im Kardinalskollegium. Und man dachte in ihm einen Übergangspapst zu finden, der nicht viel verändern würde. Aber da hatte man sich gründlich verrechnet. Er begann sofort damit, dass Papsttum menschlicher zu machen. Der Papst war ein kleiner Gott gewesen, der z. B. nie mit anderen zusammen aß. Johannes XXIII. schaffte das sofort ab. Dem Papst durfte man sich nur unter Kniebeugen nähern, und es soll Kurienmitglieder gegeben haben, die sogar im Knien mit ihm telefonierten. Pius XII. hatte stets zu einer bestimmten Tageszeit seinen Spaziergang durch die vatikanischen Gärten gemacht, und die Arbeiter dort flohen entsetzt, wenn sie ihn kommen sahen, denn der Papst wollte nicht gestört sein. Johannes machte sich einen Spaß daraus, auf die Arbeiter zuzugehen. Aber das Schlimmste in den Augen der Konservativen in der Kurie war die persönliche Audienz, die er Chruschtschows Tochter und ihrem Mann Adschubej gab. Sein Vorgänger hatte noch vor kurzem alle Katholiken, die Mitglieder der kommunistischen Partei waren, mit der Strafe der Exkommunikation belegt. Und dieser Johannes empfing die „kommunistischen Teufel“ im Vatikan. Doch Papst Johannes verweigerte keinem ein Gespräch, der ihn darum bat.

Und sein größtes Verdienst: Er war noch nicht einmal ein Jahr Papst, da berief er ein ökumenisches Konzil ein, das die katholische Kirche umgestaltete wie kein anderes Ereignis der neueren Zeit. Doch dieses Thema kann ich hier nur andeuten. (Siehe dazu meinen Glaubensbrief „Meine Begegnung mit Papst Johannes XXIII.“ In der Serie „Meine Begegnungen“).

Euch allen gesegnete Tage in Karneval und Fastenzeit

Euer
Karl Neumann