47. Glaubensbrief - April 2010   PDF-Zeichen als PDF-Datei (143 kB)

Eine Osternacht
   

Mit Christus in die Flut eintauchen,
um mit ihm aufzutauchen.

Ich kenne einen japanischen Priester, der geht in der Osternacht mit den jungen Männern und Frauen, die getauft werden sollen, hinaus an einen wilden Bergbach. Die jungen Leute haben sich ein ganzes Jahr lang auf die Taufe vorbereitet. Der Priester steigt mit ihnen hinein in den Bach, dessen Wasser noch kristallklar und kalt ist. Er taucht sie kurz unter und tauft sie so auf den Namen des dreifaltigen Gottes. Ich denke, die Jugendlichen werden diese nächtliche Szene, die der Anfang ihres Christseins ist, nie vergessen.

In der frühen Kirche wurde die Taufe ja meistens durch Untertauchen gespendet. Das bedeutet: Ich tauche mit Jesus Christus unter in die Flut und werde so in seinen Tod hineingenommen. Aber ich tauche wieder auf aus der Flut zu einem neuen Leben. So wie Christus aus der Flut seines Todes wieder aufgetaucht ist als Auferstandener.

Heute wird die Taufe in der Regel nicht mehr durch Untertauchen gespendet, sondern durch Übergießen mit Wasser. Das symbolisiert ein Abwaschen. Und doch ist jede Taufe ein Mitsterben mit Christus und ein Mitauferstehen mit ihm. Und darum hat sie ihren eigentlichen Platz in der Osternacht, wo wir das Pascha des Herrn feiern: seinen Übergang vom Tod zum Leben. Der japanische Priester hat also nicht nur eine eindrucksvolle Szene gestaltet, sondern der Taufe wieder ihren ursprünglichen Platz und Sinn gegeben.

Es beginnt draußen in der Nacht

Nun, die meisten von uns sind bereits als Kleinkinder getauft, und für uns gehört die Taufe nicht mehr zur Feier des Osterfestes. Und trotzdem ist für mich die Feier der Osternacht wohl der eindrucksvollste Gottesdienst des ganzen Jahres.

Er beginnt draußen in der Nacht. Die Gläubigen stehen im Halbkreis um das Osterfeuer. Es ist ganz still. Man fröstelt ein wenig in der kühlen Aprilnacht. Da kommt der Priester, begrüßt die Umstehenden, segnet das Osterfeuer, weiht die Osterkerze, die das Symbol des Auferstandenen ist (an ihrem Leib sieht man fünf rote Wachsnägel, die die fünf verklärten Wunden am Leib des Auferstandenen darstellen.) Dann kommt der spannende Augenblick, wo ein Mutiger Feuer aus den Flammen des Osterfeuers holt und damit die Osterkerze anzündet. Der Priester oder der Diakon hebt die Osterkerze hoch empor und singt: „Christus das Licht“. Alle antworten „Dank sei Gott“ Darauf setzt sich der Zug in Bewegung: die Osterkerze voran, alle folgen ihr in die dunkle Kirche hinein. Am Eingang erschallt zum zweiten Mal der Ruf: „Christus das Licht“, wobei alle ihre mitgebrachten Kerzen an der Osterkerze anzünden. Wir empfangen unser Licht vom Auferstandenen. Die ganze dunkle Kirche ist von einem Meer von kleinen Flämmchen erfüllt.

Gedächtnis der Befreiung

Die Nacht wird hell.

Nach dem dritten Ruf stellt der Diakon die Osterkerze auf den hohen Leuchter und, während alle stehen mit den Lichtern in den Händen, singt er das Exsultet, den großen Preisgesang auf die Osterkerze, in Text und Melodie wohl der faszinierendste Gesang, den die Kirche in ihrem wahrlich nicht kleinen Schatz besitzt.

Der Preisgesang greift zurück auf das jüdische Osterfest (das Pessachfest). Die Kirche als das neue Gottesvolk steht in Kontinuität mit dem Gottesvolk Israel. Und wie Israel jedes Jahr das Gedächtnis seiner Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft feierte, durch das es ein Volk wurde: das jüdische Osterfest, so feiern auch die Christen jedes Jahr das Gedächtnis ihrer Befreiung und Erlösung: das christliche Osterfest.

Immer wieder heißt es: „Dies ist die Nacht…“ – und die Nacht der Befreiung Israels gibt dabei das Bild ab für die Nacht unserer Befreiung durch Tod und Auferstehung Jesu:
„Dies ist die Nacht, in der du unsere Väter, die Söhne Israels, aus Ägypten befreit und auf trockenem Pfad durch die Fluten des Roten Meeres geführt hast…
Dies ist die Nacht, in der Christus die Ketten des Todes zerbrach und aus der Tiefe emporstieg als Sieger“.
Und dann als Höhepunkt das Wort von der „felix culpa“, der „seligen Schuld“:
„O unfassbare Liebe des Vaters. Um den Knecht zu erlösen, gabst du den Sohn dahin…
O selige Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden!“

Was still begann, endet in Jubel

Nach dem Exsultet löschen die Feiernden ihre Kerzen, und in der dunklen Kirche lauscht man den Lesungen. Es sind zuerst Lesungen aus dem Alten Testament, als erste die Schöpfungsgeschichte. Die Auferweckung Jesu ist nichts Geringeres als eine neue Schöpfung. Der Auferstandene ist der Beginn der neuen Schöpfung. Und „wenn jemand in Christus ist“, schreibt Paulus, „ist er eine neue Schöpfung. Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden“ (2. Korintherbrief 5,17).

Eine weitere Lesung erzählt vom Durchzug durch das Rote Meer. Wir erfahren, wie Israel durch die Fluten des Roten Meeres hindurch gerettet wurde und wissen: so hat auch uns der neue Moses (Christus der Auferstandene) durch das Wasser der Taufe gerettet.

Erst jetzt gehen die Lichter der Kirche an, ertönen zum Gloria Orgel und Glocken wieder, wird der Ostergesang des Alleluja angestimmt. Was so still am nächtlichen Feuer begonnen hatte, mündet in den Jubel der Ostermesse – mit Taufe oder mit Erneuerung des Taufversprechens.

Was heißt: Christus ist auferstanden? Man kann diese Frage hochtheoretisch beantworten. Man kann sie aber auch beantworten, indem man deutend erzählt, wie wir Ostern feiern. Und diese zweite Antwort führt genauso in die Mitte des Ostergeheimnisses wie die erste.

Ein frohes, gesegnetes Osterfest!

Euer Karl Neumann