46. Glaubensbrief - März 2010   PDF-Zeichen als PDF-Datei (133 kB)

Der Gekreuzigte vom Isenheimer Altar
   

Ein zu vertrauter Anblick:
das Kreuz an der heimischen Wand.

Viele von uns haben ein Kreuz in der Wohnung hängen. Wir sehen es jeden Tag. Aber wann haben wir es schon einmal wirklich angeschaut? Wann haben wir es so angeschaut, dass wir davor lange stehen blieben und uns vertieften in den Mann, der da so schrecklich leidet? Denn wären wir nicht so gedankenlos, wir würden erschrecken:
Ein Sterbender ständig in der Wohnung!
Ein Mensch, der zu Tode gequält wird, dessen Bild im gemütlichen Wohnzimmer mit Clubsesseln und Fernseher?
So ganz selbstverständlich ist das nicht, und Goethe hat gesagt, das sei eine Geschmacklosigkeit.

Wir spüren diese Provokation nicht, weil wir uns nichts dabei denken. Alles Gewohnheit!
Christus ist für uns gestorben. Ja gut, das glauben wir, aber was soll’s? Berührt uns das sonderlich? Wir wissen auch, dass dies nicht richtig ist, aber wie kann man es ändern?

Er hat die Pest

Anders ging es den Cholerakranken und Pestkranken im Antoniterkrankenhaus in Isenheim. Das liegt im Elsaß. Matthias Grünewald hat für dieses Hospital einen Altar gemalt, den Isenheimer Altar.
Wenn die Kranken in die Kapelle gebracht wurden, dann sahen sie dort am Altar einen Gekreuzigten hängen, der die Pest hatte, genau wie sie. Sein ganzer Leib war über und über bedeckt von schwarzen Pestbeulen.
Könnt Ihr Euch vorstellen, wie diese Kranken den Gekreuzigten angeschaut haben? Sie hatten selber die Pest, die Cholera, die Pocken – alles scheußliche Krankheiten. Sie hatten keine Hoffnung mehr.

Aber da sahen sie einen, dem ging es genauso dreckig wie ihnen. Das tröstete sie. Der hatte auch die Pest. „Der versteht uns. Der leidet genauso schrecklich wie wir. Dem steht auch der Tod vor Augen“. Sein Leib ist so schwer, dass sich der Querbalken des Kreuzes nach unten biegt und wie ein Bogen zum Himmel zeigt. Die Nägel sind so tief in die Handteller eingeschlagen, dass die fünf Finger auseinandergehen und schrecklich gespreizt nach oben weisen. Schauerlicher ist wohl nie ein Mensch dargestellt worden.
Selbst die Pestkranken spürten: Mein Leid ist noch nicht das größte. Da hängt einer, der leidet vielleicht noch mehr als wir. Und das ist ihnen ein Trost.

Der leidende Gottesknecht

Detail des Isenheimer Altars.

Der hat wirklich unsere Krankheiten getragen und unsere Gebrechen auf sich genommen (Jesaja 53,4); das ist hier wörtlich wahr: Er ließ sich von den Pestkranken anstecken. Ihm haben wir unsere Pest aufgeladen, und nun hat er sie, und wir können gerettet werden. Durch seine Wunden sind wir geheilt (Jesaja 53,5).

Könnt Ihr Euch jetzt vorstellen, wie man ein Kreuzbild anschauen kann? So dass man als ein anderer wieder weggeht?
Und Ihr werdet Euch vielleicht fragen: Wie werde ich einmal das Kreuz anblicken, wenn es mit mir zum Sterben geht? Wenn ich so daliege wie jene Kranken, ob ich nun Pest oder Krebs habe, das ist ziemlich gleich. Dann wollen wir ihn bitten, wie es das Lied „O Haupt voll Blut und Wunden“ tut:

„Wenn ich einmal soll scheiden…“

- „Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir; wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür! Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.
- Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod. Und lass mich schaun dein Bilde in deiner Kreuzesnot. Da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll fest an mein Herz dich drücken; wer so stirbt, der stirbt wohl.“

P.S.
Selbstverständlich gibt es für einen Christen auch andere Blickwinkel, um auf den Tod Jesu zu schauen. Es gibt selbstverständlich auch ganz andere Kreuzbilder in der christlichen Kunst. Aber der Gekreuzigte des Isenheimer Altars ist nicht nur einer der Höhepunkte christlicher Kunst. Er kann Dir auch Trost und Hilfe in Deinen Leiden geben, auch wenn sie Dir jetzt noch weit weg scheinen.

Das wünscht Dir mit einem herzlichen Gruß

Dein Karl Neumann