36. Glaubensbrief - Mai 2009   PDF-Zeichen als PDF-Datei (154 kB)

Mitleid mit Tieren
 

Körbeweise ums Leben zappelnder Fisch.

Hermann Hesse schildert in einem Roman, wie Goldmund (die Titelfigur) über den Fischmarkt ging und den Fischhändlern zuschaute, „wie sie ihre Ware feilboten und anpriesen, wie sie die kühlen silbernen Fische aus ihren Bottichen rissen und darboten, wie die Fische mit schmerzlich geöffneten Mäulern und angstvoll starren Goldaugen sich still dem Tode ergaben oder sich wütend und verzweifelt gegen ihn wehrten. Wie schon manches Mal ergriff ihn ein Mitleid mit diesen Tieren und ein trauriger Unmut gegen die Menschen; warum waren sie so stumpf und roh und unausdenklich dumm und blöde, warum sahen sie alle nichts, weder die Fischer und Fischweiber noch die feilschenden Käufer, warum sahen sie diese Mäuler, diese zum Tod erschreckten Augen und wild um sich schlagenden Schwänze nicht, nicht diesen grausigen nutzlosen Verzweiflungskampf, nicht diese unerträgliche Verwandlung der geheimnisvollen, wunderbar schönen Tiere, wie ihnen das leise letzte Zittern über die sterbende Haut schauderte und sie dann tot und erloschen lagen, hingestreckt, klägliche Fleischstücke für den Tisch der vergnügten Fresser? Nichts sahen sie, diese Menschen, nichts wussten und merkten sie, nichts sprach zu ihnen!“
(Hermann Hesse: Narziss und Goldmund, 12. Kapitel).

Ich kann nicht zusehen, wie ein Fisch langsam stirbt

Ich kann das gut verstehen. Ich war bereits erwachsen, als ich mit zwei Bekannten zu einem Flüsschen ging. Jungen saßen dort auf den Felsen und angelten. Flink hatte sich die eine meiner Bekannten eine provisorische Angel gemacht und fischte ebenfalls. Und wirklich: bald lagen auf dem Felsen neben ihr zwei Fische, die sie gefangen hatte. Ich musste unverwandt auf die Fische schauen, die in ihrem Todeskampf zappelten und verzweifelt versuchten, ins Wasser zu kommen – völlig vergeblich. Ich konnte es schließlich nicht mehr ansehen, dass ein Tier sich so zu Tode quälte, ich musste ihm helfen. Kurz entschlossen nahm ich die zwei Fische und warf sie ins rettende Wasser. Das Donnerwetter meiner Bekannten, die für so etwas kein Verständnis hatte, musste ich über mich ergehen lassen.

„Das ist doch dumm!“, werden viele sagen. „Essen willst du die Fische, aber töten willst du sie nicht“. Diese Leute mögen zum Teil Recht haben. Aber einmal könnte man Tiere, wenn man sie schon töten muss, möglichst human töten, wo das möglich ist. Und dann geht es hier, wie Hesse eindrucksvoll zeigt, um Empathie mit der leidenden Kreatur, ob es ein Mensch ist oder „nur“ ein Tier. Dass man ein Tier nicht wie eine Ware behandelt, wie ein Stück Fleisch, wie eine Sache. Auch ein Tier kann fühlen, Freude und Schmerz empfinden, und man kann die Schmerzen eines Tieres genauso mitfühlen wie die eines Menschen – was jeder Hundebesitzer weiß.

Die gesteinigte Katze

Ich war etwa acht Jahre alt, da wurde ich eines Nachmittags durch ein Geschrei nach draußen gerufen: da standen die Jungen aus unserem Gässchen und hatten eine Katze, die kaum noch laufen konnte. Sie drückte sich an unsere Hauswand und schien am Verhungern: das Fell hing über die Knochen, sie war so elend, dass es sich ganz kläglich anhörte, wenn sie miaute. Die anderen sagten: "Die geht sowieso bald kaputt. Wir müssen sie totschlagen, sonst quält sie sich noch mehr."

Die Jungen aßen gerade ihre Butterbrote, aber keiner gab ihr etwas mit. Ich sagte: "Wir sollten ihr etwas zu fressen geben, vielleicht kommt sie wieder auf die Beine". Ich hatte gerade eine Waffel in der Hand, die es bei uns nicht oft gab. Die gab ich ihr, sie fraß sie begierig.

Ich muss weggegangen sein, vielleicht um ihr etwas Geeigneteres zu fressen zu holen; als ich zurückkam, waren die anderen und die Katze verschwunden. Ich fand sie in den Ruinen eines Hauses, das der Krieg zerstört hatte. Sie standen um den eingebrochenen Keller, und unten in dem Halbdunkel lag etwas Schwarzweißes: die Katze. Einer nach dem anderen warf einen dicken Steinbrocken auf das Tier. Es rührte sich nicht mehr, und ich hielt es für tot, doch wenn ein Brocken den Kopf fast zerdrückte oder den schmalen Leib zerquetschte, kam ein klägliches und todmattes "Miau", das mir das Herz umdrehte. Ich konnte das nicht mehr hören und sagte: "Macht sie doch endlich tot!", aber das Tier war unglaublich zäh. Die Trümmerbrocken sausten genau auf den Kopf, aus dem Maul lief dunkelrotes Blut, doch bei jedem Treffer kam das matte und klagende Miau.

Kritik der Japaner am Christentum

Die gesamte Schöpfung hat Teil
an der Erlösung in Jesus Christus.
So predigt Franziskus auch den Tieren.
Fresko in der Basilika San Francesco, Assisi - Giotto.

Ich entschuldige mich für diese grausame Geschichte, aber ich habe sie so erlebt, und sie hat in mir die Gewissheit gefestigt, dass Tiere genauso unser Mitleid brauchen wie Menschen. Die Nächstenliebe erstreckt sich nicht zuletzt auch auf das Tier.

Und hier hatte das Christentum sehr oft einen blinden Fleck. Ich habe in Japan eine Frau kennen gelernt, die eine Naturfreundegruppe leitete. Ich bin oft bei ihren naturkundlichen Wanderungen mitgegangen und kam schließlich in ein tieferes Gespräch, wo sie ihre japanische Höflichkeit ablegte und ungeschminkt sagte, was sie dachte. „Für euch Christen“, sagte sie, „steht der Mensch immer über der Natur und den Tieren. Er will sie beherrschen. Aber dadurch habt ihr viel von der Natur zerstört. Für unseren japanischen Shinto-Glauben und unseren buddhistischen Glauben sind die Tiere unsere Brüder und Schwestern, und so sollen wir sie behandeln. Ich (sagte sie) habe nicht das Gefühl, über der Natur zu stehen, sondern ich schaue in Ehrfurcht auf zur Natur.“ So offen und ehrlich hatte ich das noch nicht gehört, kannte auch Japan inzwischen gut genug, um zu wissen, dass zwischen dieser schönen Theorie und der Praxis oft ein himmelweiter Unterschied besteht, und dass es andererseits die Ehrfurcht vor der Natur, die „Ehrfurcht vor allem Lebendigen“ (Albert Schweitzer) auch im Christentum gibt. Wir brauchen nur an Franz von Assisi zu denken. Doch, im Ganzen gesehen, hat das Christentum hier wirklich weithin einen blinden Fleck. Wo ist in der Bibel vom Mitleid mit Tieren die Rede? Wo wird eine Ethik Tieren gegenüber entwickelt? Ich kenne zwar kaum derartige Stellen, aber ich glaube, ein solches Denken läge im Geist der Bibel, im Geist dessen, der uns die Vögel des Himmels und die Lilien des Feldes als Vorbild hinstellte.

Schafe ziehen Bußkleider an

Zum Schluss eine wenig bekannte Bibelstelle, die nun ausdrücklich von der Solidarität von Mensch und Tier spricht, und von Gottes Mitleid mit Menschen und Tieren. Ich muss immer schmunzeln, wenn ich sie lese.

Der Prophet Jona predigte Buße und Umkehr in Ninive, und der König von Ninive nahm seine Predigt an:
„Er ließ in Ninive ausrufen: Alle Menschen und Tiere, Rinder, Schafe und Ziegen, sollen nichts essen, nicht weiden und kein Wasser trinken. Sie sollen sich in Bußgewänder hüllen, Menschen und Tiere (!). Sie sollen laut zu Gott rufen und jeder soll umkehren und sich von seinen bösen Taten abwenden.“ Menschen und Tiere taten also Buße. Gott verschont die Stadt. Jona ist wütend, weil er umsonst den Untergang gepredigt hat, doch Gott antwortet ihm: „Mir .. sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben,... - und außerdem so viel Vieh?“
(Buch des Propheten Jona, 3,7f und 4,11)

Euch allen einen sonnigen wonnigen Maimonat – und vielleicht auch ein wenig Spaß mit Tieren

Euer
Karl Neumann