30. Glaubensbrief - November 2008   PDF-Zeichen als PDF-Datei (71 kB)

Meine Begegnung mit der
Zen-Meditation

Als ich Student war (es ist schon einige Zeit her), da kam unter meinen Mitstudenten eine seltsame Mode auf. Man sah den ein oder anderen morgens kurz nach dem Aufstehen geheimnisvolle Übungen vollführen. Man fand sie neben dem Bett auf dem Fußboden stehen, aber im Kopfstand. Die Unterarme bildeten auf dem Fußboden zwei Seiten eines Dreiecks, was dem Körper Halt gab. So konnten sie lange Zeit im Kopfstand aushalten. Das Gesicht lief rot an, aber das machte ihnen nichts. Es sei ein vorzügliches Mittel der Gesundheit, sagten sie. Man glaubte, einen indischen Fakir zu erblicken, und dieser Eindruck war nicht ganz falsch; denn was sie da praktizierten, waren indische Yoga-Übungen. Ihr Lehrbuch dafür war die Schrift eines französischen Priesters, die sich „Yoga für Christen“ nannte.

Schwebe-Engel und Nirwana-Bengel

Bald nach dieser Yoga-Welle rollte die Zen-Welle über unser Priesterseminar. Da saßen die jungen Ordensleute, statt ihre vorgeschriebene Betrachtung, etwa über eine Stelle der Heiligen Schrift zu machen, dicht vor einer weißen Wand in absolutem Schweigen. Statt nach bewährter Ordensmethode das Evangelium zu betrachten, zählten sie ihren Atem. Folglich hieß das, was sie da taten, nicht mehr Betrachtung, sondern Meditation, genauer gesagt Zen-Meditation. Solche schwer verständlichen Fremdwörter und solches ungewohnte Tun provozierte natürlich den älteren und konservativen Teil der Ordenskommunität, und es wurde viel gespottet über diese „Schwebe-Engel“ und „Nirwana-Bengel“.

Ich war damals nicht mehr ganz jung, aber neugierig genug, um die Zen-Meditation auszuprobieren. Es kamen zu jener Zeit einige der bekanntesten Zen-Meister in unser Bildungshaus, und so konnte ich Zen-Tage mit P. Enomiya Lasalle von Japan und Karlfried Graf Dürckheim mitmachen. Beim Za-Zen (Zen-Sitzen) ging von Dürckheim selbst prüfend hinter der Reihe der Sitzenden her. Als er zu mir kam, spürte ich seine kräftige Hand an Rücken und Schulter, die andere am Brustkorb. Er drückte beide Hände gegeneinander, sodass der krumme Rücken gerade wurde und sich aufrichtete. „Sehen Sie, das ist Ihre ganze Größe!“ sagte er väterlich.

Die Deutschen sprechen „Zen“ falsch aus

Karl Neumann in einem japanischen Zen-Kloster

Dann kam ich nach Japan, dem Land des Zen. Ich lernte japanisch, und da wurde mir klar, dass die Deutschen das Wort „Zen“ meist falsch aussprechen. Der erste Buchstabe wird nicht wie ein deutsches „Z“ ausgesprochen, sondern wie ein stimmhaftes „S“.

Weiter wurde mir spürbar klar, dass Zen eine Variante des Buddhismus ist. Er ist nicht bloß eine Meditationsmethode wie wir es hier oft denken, er ist eine Religion mit Tempeln, Gottesdiensten, Priestern usw. Man ruft den Zen-Priester zu Begräbnissen und Totengottesdiensten, wie man auch die Priester der anderen Richtungen des Buddhismus ruft.

Damit wird es wohl zusammenhängen, dass unter den japanischen Christen die Zen-Meditation durchweg wenig praktiziert wird. Das erstaunte mich sehr. Wenn schon im Westen die Zen-Meditation so verbreitet ist, dachte ich, wie viel mehr muss sie es dann in ihrem Mutterland sein. (Japan ist zwar nicht das Ursprungsland dieser Meditation, aber sie wurde allermeist von Japan aus exportiert, und der Name „Zen“ ist japanisch.) Der Geist des Zen hat zwar die japanische Kultur ungemein befruchtet: die Teezeremonie, das Blumenstecken Ikebana, das japanische Bogenschießen und andere Sportarten, die Haiku-Dichtung und manche anderen Perlen der japanischen Kultur sind ohne Zen nicht zu denken; auch gibt es große Tempel, wo die Zen-Meditation gepflegt wird, japanische Politiker und Wirtschaftler holen sich aus dieser Meditation Kraft – aber unter den japanischen Christen ist sie (außer in einigen intellektuellen Kreisen) wenig verbreitet, ja wird oft abgelehnt.

Japanische Christen mögen Zen nicht

„Warum?“ fragte ich japanische Christen. „Weil wir uns vom Buddhismus zum Christentum bekehrt haben“, sagten sie. „Da lassen wir das Alte hinter uns, und die Zen-Meditation, die ja ein Teil der buddhistischen Religion ist, gehört zu diesem Alten“.

Ich bin nun schon einige Jahre zurück in Deutschland. In unserem Bildungshaus in München hatte ich eine Tagung zu gestalten, auf der ein japanischer Zen-Mönch sprach. Ich fragte ihn, welches Buch er als Einführung empfehlen könne. Zu meinem Erstaunen nannte er keinen japanischen Autor, sondern einen vietnamesischen Zen-Meister, der ein kleines Büchlein geschrieben hatte. Ich gebe diesen Tipp einmal hier weiter: Thich Nhat Hanh: Das Wunder der Achtsamkeit. Einführung in die Meditation. Theseus Verlag Zürich München (überarbeitete Neuauflage 2002).

Bereits in Japan lernte ich das Buch eines indischen Jesuiten kennen und fand die Übungen darin sehr hilfreich: Anthony de Mello: Meditieren mit Leib und Seele, Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer 1991.

Achtsamkeit. Schweigen

Junge buddhistische Mönche
bei der Meditation

- „Meditieren mit Leib und Seele“ - das erklärt ein wenig die Faszination, welche Zen und Yoga auf viele von uns ausüben. Meditieren, ja Beten, hat auch etwas mit unserem Körper zu tun. Als Graf Dürckheim meinen gekrümmten Rücken aufrichtete, wusste er, dass ich so meine Gedanken besser sammeln konnte. Dass ich auf diese Weise in meiner Mitte ruhte. Die ostasiatischen Kulturen haben in langen Jahrhunderten Erkenntnisse über den Zusammenhang von Körper und Seele gesammelt, von denen wir Abendländer nur lernen können. Das Christentum hat im Großen und Ganzen diesen Bereich leider links liegen lassen. So kann man nicht sagen: „Was musst du denn nach Indien und nach Japan laufen, um meditieren zu lernen? Das haben wir doch alles auch in unserer christlichen Tradition!“. Wir haben eben nicht alles.

- Warum fasziniert die Zen-Meditation? Ein Weiteres: Ich habe hier gelernt, dass man beim Beten und Meditieren nicht denken muss. Der Verstand ermüdet nicht. Was ist einfacher als auf seinen Atem zu achten, seinen Körper wahrzunehmen? Es gibt auch ein schweigendes Gebet. Die innere Stille zu suchen kann dich schon Gott näher bringen. In der Stille kannst du ihn finden. Du musst keine großen Worte machen. Innerlich leer werden – ist das nur Vorbereitung christlicher Meditation? Ich glaube, es ist mehr. Das ist etwas, was ich in dieser Schweigemeditation gelernt habe.

Zen kann man nicht aus Büchern lernen

Man könnte gewiss noch vieles finden, was wir westlichen Christen (und Nichtchristen) vom Zen lernen können und was die Faszination dieser Meditation in der westlichen Welt ausmacht. Aber ich möchte hier Schluss machen. Es soll ja um „meine Begegnung mit der Zen-Meditation“ gehen.

Man könnte also diesen Glaubensbrief in die Reihe „Meine Begegnungen“ stellen. Vorläufig will ich ihn jedoch in dieser dritten Reihe „Verschiedene Themen“ belassen.

Vielleicht versucht der ein oder andere von euch einmal selber, schweigend im Stil des Zen zu meditieren. Zu einer echten Zen-Meditation brauchst du dafür allerdings unbedingt einen Meister. Aber die Bücher von Thich Nhat Hanh und Karlfried Graf Dürckheim (ihr könnt sie unter diesen Namen im Internet finden) sind eine gute Einführung.

Dann bis zum nächsten Brief Anfang Dezember

Euer
Karl Neumann