26. Glaubensbrief - Juli 2008   PDF-Zeichen als PDF-Datei (82 kB)

Glauben - bis zum nächsten Bestseller
Eine Antwort

„Glauben – bis zum nächsten Bestseller“ habe ich meinen letzten Glaubensbrief genannt. Ist der Glaube abhängig von der historischen Forschung über Jesus – wobei der Laie oft kaum unterscheiden kann zwischen Ergebnissen der Forschung und Scheinergebnissen, die als Bestseller verpackt sind. Ich finde, Papst Benedikt XVI. hat die Situation in seinem Jesusbuch realistisch beschrieben: „Als gemeinsames Ergebnis all dieser Versuche ist der Eindruck zurückgeblieben, dass wir jedenfalls wenig Sicheres über Jesus wissen und dass der Glaube an seine Gottheit erst nachträglich sein Bild geformt habe. Dieser Eindruck ist inzwischen weit ins allgemeine Bewusstsein der Christenheit vorgedrungen. Eine solche Situation ist dramatisch für den Glauben, weil sein eigentlicher Bezugspunkt unsicher wird: die innere Freundschaft mit Jesus, auf die doch alles ankommt, droht ins Leere zu greifen“ (S. 11).

Der christliche Glaube baut nicht auf
auf dem Fundament erfundener Geschichten

Ist unser Glaube nur eine Hypothese – bis zum nächsten Bestseller oder bis zum nächsten Ergebnis der kritischen Forschung? Der Theologe Karl Adam meint: Das kann nicht sein: „Das wäre ein jämmerliches Christentum, das in beständiger Sorge leben müsste, ob die Kritik nicht heute oder morgen sein Todesurteil spricht“.

Doch die Situation feststellen, ist leicht; eine Antwort finden, ist schwer.
Ich fange einmal bei etwas ganz Grundsätzlichem an: Auch ich habe, obwohl ich Theologe bin, auf viele Fragen meines Glaubens keine Antwort. Wenn ich mit dem Glauben warten wollte, bis alle Probleme gelöst sind, käme ich nie zum Glauben. Glaube ist möglich trotz vieler ungelöster Fragen – ja, das ist seine normale Situation. Mein Glaube wird aus vielen Quellen gespeist, die mir vielleicht gar nicht alle bewusst sind. Selbst wenn eine auszutrocknen scheint, sprudeln viele andere noch weiter.

Unruhig ist unser Herz...

Eine dieser Quellen, die kaum vertrocknen, ist mein Gottesglaube. Mich hat mein ganzes Leben lang das Wort von Augustinus angezogen: „Zu dir hin hast du uns geschaffen, o Gott. Und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir.“

Unruhig ist unser Herz – wer spürt es nicht? Guter Verdienst, gelungene Karriere, gute Freunde und Freundinnen – all das befriedigt es vielleicht für eine Zeit, und du meinst: Jetzt habe ich mein Ziel erreicht, jetzt kann ich zufrieden sein. Aber dann braucht nur ein Unglück, eine Krankheit zu kommen, und das kann all deine schönen Ziele über den Haufen werfen. Dann spürst du vielleicht, wenn auch ganz schwach: „Unruhig ist unser Herz“. Nichts in dieser Welt, nichts von all den vergänglichen Dingen kann es ganz ausfüllen. Es bleibt ein Rest, eine „Sehnsucht nach mehr“ (so der Buchtitel meines „Schnupperkurs Glauben“). Nur bei ihm, dem Geheimnisvollen, Unendlichen, der unser Herz so unruhig geschaffen hat, damit es ihn suche, nur bei ihm kann es Ruhe finden.

Es gibt viele Wege zu Gott, und einige habe ich in meinem „Schnupperkurs Glauben“ beschrieben (ihr könnt sie dort nachlesen). Diesen hier aus der „Unruhe des Herzens“ habe ich nur kurz skizziert. Er stammt von Augustinus und steht auf der ersten Seite seiner „Bekenntnisse“, in denen er sein Leben beschreibt. Augustinus ist also diesen Weg zu Gott selbst gegangen – nach vielen Umwegen und Irrwegen.

Wenn Jesus nie gelebt hätte

Auf dieser Basis eines tiefen Gottesglaubens können wir nun über Jesus nachdenken.

1. Zunächst einmal: Dass Jesus eine historische Gestalt war, dass er wirklich gelebt hat, ist für den christlichen Glauben absolut notwendig. Unser christlicher Glaube gründet sich auf etwas, das wirklich geschehen ist, und nicht auf einen Mythos. Wenn also die Forschung erweisen würde, dass Jesus nie gelebt hat, dann wäre unser christlicher Glaube falsch.

2. Doch dass Jesus nie gelebt habe, behauptet heute niemand mehr, der ernst genommen werden will. Und von zahlreichen Jesusworten (und Taten) kann man mit historischer Sicherheit sagen, dass sie von Jesus stammen.

3. Das gilt auch für das einzigartige Verhältnis Jesu zu Gott dem Vater. Dieses Verhältnis kommt in dem vertrauten Wort „Abba“ zum Ausdruck, mit dem Jesus seinen Vater anredete. Die Juden redeten Gott nicht so an. Es bestand also ein einzigartiges Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Gott, dem Vater, und Jesus, dem Sohn. Dass der historische Jesus diese Anrede wirklich gebrauchte, sieht man u.a. daran, dass dieses Wort in der aramäischen Sprache, in der Jesus es gesprochen hat, stehen gelassen wurde. Es wurde nicht in die griechische Sprache übersetzt, in der sonst das ganze Neue Testament geschrieben ist.

Der Punkt, um den sich alles dreht

Es gibt genügend gesicherte Haltepunkte

4. Ein Angelpunkt unseres Glaubens an Jesus Christus ist seine Auferstehung von den Toten. Die kann man natürlich nicht mit historischen Mitteln nachweisen, es war ja niemand dabei. Aber nicht wenige Personen im Neuen Testament bezeugen, dass sie den Auferstandenen gesehen haben. Das Zeugnis des Paulus im 15. Kapitel des ersten Korintherbriefs ist besonders wichtig. Er nennt den Korinthern die Menschen, denen der Auferstandene erschienen ist. Viele davon lebten damals noch, die Korinther konnten sie selbst fragen. Und vor allem sagt Paulus, dass er selbst den Auferstandenen gesehen hat. All diese Auferstehungszeugen sind weder Lügner noch Hysteriker oder Leichtgläubige. Viele von ihnen haben für diese Wahrheit ihr Leben hingegeben. Warum sollten wir ihnen nicht glauben?

5. Jesus wusste sich als Gottessohn. Er ist am Kreuz gestorben (das ist das Sicherste, was wir von Jesus wissen), und er ist von den Toten auferstanden, er lebt beim Vater. Damit haben wir schon fast das Wesentliche des urchristlichen Glaubens, wie ihn z.B. Paulus in seinen Briefen verkündet. Paulus erzählt nicht viele Geschichten aus dem Leben Jesu – er kannte Jesus ja auch kaum oder gar nicht. Sondern er kommt mit diesen fundamentalen Heilsereignissen aus und baut darauf seinen Glauben.

6. Wenn wir diese wesentlichen Punkte, die gut bezeugt sind, festhalten, dann muss es uns nicht verwirren, wenn manche Einzelheiten, die in der Bibel stehen, von der historischen Kritik in Frage gestellt werden. Da muss man dann jeweils unterscheiden, was echt und was Sensationsmache ist.

Das Evangelium nach Judas Ischariot

Nehmen wir einmal als Beispiel das sogenannte „Evangelium nach Judas Ischariot“. Vor einigen Wochen kam darüber eine Sendung im Fernsehen zur besten Sendezeit. Ein neues Evangelium sei gefunden. Judas Iskariot sei demnach kein feiger Verräter, sondern der beste Freund Jesu gewesen. Jesus selbst habe ihn gebeten, ihn auszuliefern, damit die Schrift erfüllt werde.

Die Leute, die das sahen, mussten glauben: Alles ist also falsch, was in der Bibel über Judas steht. Jetzt ist endlich die Wahrheit ans Licht gekommen.

Doch nichts ist falsch, jedenfalls hat dieser neue Fund keine neuen Erkenntnisse über Judas und Jesus gebracht. Wer sich ein bisschen in Theologie auskennt, weiß, dass es einige Evangelien gibt, die nicht in die Bibel aufgenommen wurden (das Petrus-Evangelium, das Thomas-Evangelium usw.). Man nennt sie „apokryphe Evangelien“. Sie stammen ausnahmslos aus einer späteren Zeit als unsere vier Evangelien und haben kaum historischen Wert. Oft sind sie voll von Mirakeln und krausen Wundergeschichten. Nun, das neu entdeckte „Judas-Evangelium“ ist eines dieser apokryphen Evangelien. Es stammt vom Ende des zweiten Jahrhunderts, also ein Abstand von etwa 150 Jahren liegt zwischen ihm und dem Geschehen, das es erzählt. Es kann uns nichts Historisches über Judas und Jesus sagen. Wohl kann es uns sagen, wie bestimmte Gruppen und Sekten im zweiten Jahrhundert über Judas und Jesus gedacht haben. Es entstand nämlich in Kreisen der gnostischen Sekte: der gefährlichsten Irrlehre damals. Für die Gnostiker war der Leib ein Übel, und Jesus musste von diesem Übel befreit werden. Daher bat er Judas, ihm dabei zu helfen, um sich von seiner körperlichen Hülle zu befreien.

Das bleibt also von all dem großen Tamtam, mit dem man das Judas-Evangelium in den Medien vermarktet hat, übrig. Leider war die üble Sendung, die ich neulich darüber sah, nicht von einem privaten Sender, sondern von einem öffentlich-rechtlichen.

Ein kleiner Trost: im Internet habe ich erstaunlich gute und objektive Auskunft über das Judasevangelium gefunden, z.B. bei Wikipedia.

Also keine Angst vor dem nächsten Bestseller!

Euch allen frohe Grüße und einen angenehmen, erholsamen Urlaub.

Euer
Karl Neumann