25. Glaubensbrief - Juni 2008   PDF-Zeichen als PDF-Datei (101 kB)

Glauben - bis zum nächsten Bestseller

Eine Geburtstagsparty in einer deutschen Großstadt. Wir kamen auf das Thema „Religion“ und „Kirche“. Ich merkte bald, dass ich wahrscheinlich der einzige war, der sich ohne Abstriche als Christ bekannte. Alle waren freundlich, doch ich kam mir ziemlich verloren vor in dieser Umgebung.

Ich denke, die Situation ist typisch. Ist man als Glaubender fremd in dieser Umwelt? Ist man von gestern?

Der Glaube verdunstet

Und der Glaube ruht sanft

Ja, es scheint, dass der christliche Glaube im Schwinden ist. Ich erinnere mich an das Dorf meiner Kindheit, wo am Sonntag praktisch alle zum Gottesdienst gingen. Heute bleiben viele Bänke leer (außer an Weihnachten und Ostern). In nicht wenigen Großstadtgemeinden könnte der Pfarrer depressiv werden, wenn er ständig zu fast leeren Bänken predigen muss, in denen noch ein paar alte Leute sitzen.

Immer wieder kommen Eltern zu mir und sagen: „Keines von meinen erwachsenen Kindern geht mehr zur Kirche. Das ist mein größtes Leid. Was habe ich bloß falsch gemacht? Ich habe sie doch religiös erzogen. Und was kann ich tun?“

Nein, die Eltern haben wahrscheinlich gar nichts falsch gemacht. Wenn die Kinder religionsmündig sind, können sie sich frei entscheiden, und die Eltern sollen diese Entscheidung respektieren. Es ist nur kontraproduktiv, ihnen ständig in den Ohren zu liegen, wenn sie etwa zu Besuch kommen. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass man über den Glauben spricht, wenn die Gelegenheit günstig ist.

Hunderttausende kehren den Kirchen den Rücken

Doch es ist ja nicht nur der Kirchgang. Vor einigen Jahren waren es Hunderttausende, die den Kirchen jedes Jahr den Rücken kehrten (im Jahre 2006 immerhin 84 000 Austritte allein aus der katholischen Kirche). Dadurch ist z.B. die Zahl der Katholiken seit 1990 um 2,6 Millionen gesunken. Heute ist Deutschland, grob gesprochen, zu einem Drittel evangelisch (Tendenz: fallend), zu einem Drittel katholisch (Tendenz: fallend), und zu einem Drittel nichtkirchlich oder nichtchristlich (Tendenz: steigend).

Auch wir Kirchenchristen sind verunsichert

Aber vielleicht interessieren euch all diese Zahlen gar nicht. Was die Statistik nicht erfasst: es gibt heute, stärker als früher, fließende Übergänge zwischen Glaube und Unglaube, es gibt eine Grauzone zwischen christlich, irgendwie religiös und ungläubig, viele machen sich ihren eigenen Glauben zurecht. Und auch wir Kirchenchristen sind oft in unserem Glauben verunsichert. Wir spüren die kalte Luft nicht nur um uns, sondern auch in uns selber. So vieles, was wir als Kinder gelernt haben, hat sich als falsch erwiesen. Ist damit auch unser Glaube falsch, oder hat sich nur die Schale geändert, und der Kern bleibt? Aber kann man beim Glauben zwischen Schale und Kern so einfach unterscheiden?

Sich den passenden Glauben selbst zusammenzimmern?

Da erscheint ein Bestseller, der behauptet, die Schriftrollen von Qumran hätten erdrückende Erkenntnisse gegen das Christentum erbracht, aber der Vatikan halte diese Forschungsergebnisse unter Verschluss. Da zeigt ein Jesusfilm, dass Jesus eine erotische Beziehung zu Maria Magdalena hatte. Was ist an all diesen Behauptungen unverschämte Sensations- und Geschäftemacherei, was aber vielleicht doch echt? Wie soll ein Laie das unterscheiden können? Und für den Fachmann ist es kaum besser. Da schreibt ein Religionslehrer, der ein volles Theologiestudium hinter sich hat: er habe das Buch von Finkelstein und Silberman über David und Salomo gelesen und sei schockiert. Er habe schon gehört, dass Abraham, Isaak und Jakob keine historischen Stammväter Israels seien, auch Mose und der Auszug aus Ägypten so nicht historisch seien, das habe er noch geschluckt. Aber jetzt sollen David und Salomo auch keine historischen Gestalten sein (fragt er): was bleibt denn da noch übrig? Was heißt dann noch göttliche Offenbarung?

Besser ein Spatz in der Hand...

Nicht jeder beschäftigt sich mit solchen Büchern so wie mein Bekannter. Aber auch, wenn einer nur die Zeitung liest und Fernsehen schaut, erfährt er immer wieder angebliche oder tatsächliche Ergebnisse der Wissenschaft, dass er am Ende nicht mehr weiß, was er noch glauben soll, was wahr und was falsch ist. Und das gerade, wenn er das Neue zur Kenntnis nimmt und sich nicht von vornherein dagegen abschottet, wenn er ein offener und suchender Mensch ist. Kurz: bei sehr vielen Menschen heute bleibt der vage Eindruck zurück: Das mit dem Glauben ist doch nicht so sicher. Die vielen kleinen Schwierigkeiten, die uns gar nicht mehr alle bewusst sind, summieren sich zu der Haltung: Wie es wirklich war, das weiß niemand. Es ist eine Haltung der Vorsicht: Auf einen solchen vagen Glauben baut man lieber keine Häuser. Da sagt man sich: Lieber einen Spatz in der Hand, als eine Taube auf dem Dach. Man hält sich an das Sichere, das man in der Hand hat. Der Glaube ist willkommen, wenn er das Leben verschönert, wenn er ein gutes Gefühl an Festen und einen vagen Trost an den Lebenswenden liefert, aber man darf ihn nicht allzu sehr auf seine Festigkeit abklopfen. Er ist wie eine Hypothese, an der man noch festhält, die aber keineswegs sicher ist. Das alles ist, wie oben gezeigt, keine Bosheit, sondern das Ergebnis der heutigen Situation. - Glauben bis zum nächsten Bestseller?

Ein Glaube, der mehr ist als eine Hypothese

Was kann ich als gläubiger Christ darauf antworten? Zunächst: wir brauchen einen Glauben, der mehr ist als eine Hypothese. Auf den man sich verlassen kann. Der nicht von jedem Bestseller abhängig ist. Wir brauchen und wir suchen einen Glauben, der in der tiefsten Krise von Leid und Sterben wirklich helfen kann, und der nicht nur die Feste und das Leben verschönert. Wo finden wir einen solchen Glauben?

An dieser Stelle tue ich etwas, was ich sonst nicht tue: ich höre auf, ohne eine Antwort gegeben zu haben. Der Brief würde sonst zu lang. Und auch in mir selbst muss die Antwort erst noch ein bisschen reifen. Darum sucht einmal mit mir nach einer Antwort. Denn das gibt euch mehr, als nur eine fertige Antwort vorgesetzt zu bekommen.

Dann eine gute Zeit bis zum nächsten Brief!

Euer
Karl Neumann