21. Glaubensbrief - Februar 2008   PDF-Zeichen als PDF-Datei (94 kB)

Ich will dich kennen, Unbekannter!

Eine Geschichte aus dem dramatischen Leben des Apostels Paulus. Er kam nach Athen, einst mächtige Hauptstadt Griechenlands. Jetzt war es dem römischen Weltreich einverleibt worden, war aber nach wie vor die kulturelle Hauptstadt der antiken Welt. Paulus war auf der Flucht. In der Stadt, wo er vorher gepredigt hatte, war eine Verfolgung ausgebrochen, und die Christen hatten Paulus schnell zum Schiff gebracht, damit er sich in Sicherheit bringen konnte. Seine Begleiter wollten bald nachkommen.

Paulus wartete also in Athen auf seine beiden Begleiter und sah sich unterdessen die Stadt an. Dabei suchte er nach einer Gelegenheit, seine rettende Botschaft von Jesus Christus den Athenern nahe zu bringen.

Neugier genügt

Er ging dorthin, wo man Menschen antreffen konnte: auf den Markt. Die Leute, die dort herumstanden, waren an allem Neuen interessiert. Es heißt sogar: „Alle Athener und die Fremden dort taten nichts lieber, als die letzten Neuigkeiten zu erzählen oder zu hören“. Kommt uns bekannt vor, nicht wahr? Da hat sich in zweitausend Jahren wohl nichts verändert!

Doch Paulus konnte an diese Neugier, diesen Wissensdurst, den er gerade in Athen antraf, anknüpfen. Er traf Leute, mit denen er diskutieren konnte: stoische und epikureische Philosophen. Ihr erstes Urteil über diesen hergelaufenen Juden mit dem römischen Namen Paulus war nicht gerade schmeichelhaft: „Was will denn dieser Schwätzer?“, spotteten sie. Doch schließlich siegte die Neugier: „Können wir erfahren, was das für eine neue Lehre ist, die du vorträgst?“ Und sie führten ihn auf den Areopag, jenen Hügel nicht weit von der Akropolis, auf dem von alters her der oberste Rat der Stadt getagt hatte. Hier, an diesem zentralen Ort der antiken geistigen Welt, begann Paulus nun seine große Rede. (Ihr könnt sie nachlesen im 17. Kapitel der Apostelgeschichte.)

Erst einmal Honig um den Bart

Kein "Gott" soll sich vernachlässigt fühlen

Er begann mit einem Kompliment. Gewiss war das Taktik; den stolzen Athenern musste man ein wenig Honig um den Bart schmieren. Aber es war mehr als Taktik, es war aufrichtig gemeint.

„Athener“ – so begann also Paulus seine Rede – „nach allem, was ich sehe, seid ihr besonders fromme Menschen. Denn als ich umherging und mir eure Heiligtümer ansah, fand ich auch einen Altar mit der Aufschrift: EINEM UNBEKANNTEN GOTT. Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch“.

Die frommen Athener hatten in ihrer Stadt viele Altäre errichtet, um sich den Schutz aller möglichen Götter zu sichern. Doch vielleicht hatte man am Ende einen vergessen. Der würde sich vernachlässigt fühlen und die Athener das spüren lassen. So ging man denn auf Nummer sicher und errichtete einen Altar für einen unbekannten Gott. Man konnte ja nie wissen...

So wird es wohl gewesen sein. Aber Paulus deutete das ganz anders und sah etwas Tieferes darin. Er sah darin die Unzufriedenheit der Athener mit ihren Göttern, die lediglich eine Projektion menschlicher Wesen mit all ihren Unarten in einen Götterhimmel hinein waren. Er sah in diesem Altar die Sehnsucht der Athener, die Sehnsucht des Menschen nach mehr, nach dem unbekannten Gott. Nach dem Gott, der immer der Unbekannte bleibt, weil er durch keine Erkenntnis eingefangen werden kann.

„Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch.“ Paulus brachte den Athenern keinen völlig neuen Gott. So ist es mit jedem Missionar. Wenn er kommt und den Menschen von Gott spricht, dann war Gott schon früher da als der Missionar. Er wirkt schon in den Zuhörern. Er macht, dass sie das von innen begreifen, was sie von außen hören. Wenn die Botschaft des Christentums gut gepredigt wird, dann erlebt sie der Hörer als eine verblüffende Antwort, die gerade auf seine inneren Fragen passt, die auf seine Sehnsucht nach dem unbekannten Gott Antwort gibt.

Anonyme Christen

Noch einmal: „Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch.“ Es gibt mehr Menschen, die den unbekannten Gott verehren, als in den Taufregistern eingetragen sind. Karl Rahner nennt sie „anonyme Christen“ (unsere Bibelstelle ist eine der Kernstellen seiner Theologie). Aber diese Menschen wollen nicht so bleiben, wie sie sind, das wäre ja Selbstgenügsamkeit. Was man verehrt und liebt, möchte man auch kennen. Und so freuen sie sich, wenn ein Paulus kommt und sagt:
„Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch“.

Friedrich Nietzsche hat als Zwanzigjähriger ein Gedicht geschrieben, das heißt: „Dem unbekannten Gott“. Mit ihm will ich diesen Brief beschließen. (Vielleicht wundert ihr euch, dass ich den Atheisten Nietzsche hier für fromme Gedanken einspanne. Aber in dieser frühen Zeit hat der Pfarrerssohn Nietzsche mit seinem Glauben gerungen. Mich ergreift dieses Gedicht sehr.)

Dem unbekannten Gott
Noch einmal, eh ich weiterziehe
und meine Blicke vorwärts sende,
heb ich vereinsamt meine Hände
zu dir empor, zu dem ich fliehe,
dem ich in tiefster Herzenstiefe
Altäre feierlich geweiht,
dass allezeit
mich deine Stimme wieder riefe.
Darauf erglüht tief eingeschrieben
das Wort: Dem unbekannten Gotte.
Sein bin ich, ob ich in der Frevler Rotte
auch bis zur Stunde bin geblieben:
Sein bin ich - und ich fühl die Schlingen,
die mich im Kampf darniederziehn
und, mag ich fliehn,
mich doch zu seinem Dienste zwingen.
Ich will dich kennen, Unbekannter,
du tief in meine Seele Greifender,
mein Leben wie ein Sturm Durchschweifender,
du Unfassbarer, mir Verwandter!
Ich will dich kennen, selbst dir dienen.

Dann bis zum nächsten Brief! Eine frohe Zeit (nicht nur im Karneval)

euer
Karl Neumann