13. Glaubensbrief - Juni 2007   PDF-Zeichen als PDF-Datei (104 kB)

Glücklich werden

 

„Pater Neumann, sind Sie glücklich?“ Es war ein junger Muslim von etwa 16 Jahren, der mich das fragte. Er gehörte zu einer Gruppe von pakistanischen Jugendlichen, die mit mir ein Glaubensgespräch führen wollten. Ich spürte instinktiv, was hinter dieser Frage stand. Die Wahrheit der Religion sollte hier daran gemessen werden, wie glücklich sie ihre Anhänger macht. In einen solchen Wettstreit einzutreten, war mir zu dumm, und so sagte ich: „Glücklich bin ich nicht gerade, aber ich bin zufrieden“. Darauf hatte unser junger Pakistani gerade gewartet. „Aber ich“ brüstete er sich, „ich bin sehr glücklich! Weil ich ein gläubiger Muslim bin, schenkt mein Glaube mir ein dauerndes Glück“. Ich ließ ihn bei seinem Glauben, aber als ich in sein spitzes, etwas fanatisches Gesicht blickte, war mir klar: das war nicht das Gesicht eines Glücklichen. Doch er hatte einmal wieder bestätigt gefunden, was er schon längst wusste: dass die Christen keine glücklichen Menschen seien, weil sie nicht den wahren (Moslem-)Glauben haben. Es war zwecklos, mit einem solchen Menschen ein Glaubensgespräch zu führen.

Verliebt bis über beide Ohren


Manchmal ist Leben glücklich

Bist du glücklich? Vielleicht wirst du genau so antworten wie ich damals: „Glücklich nicht gerade“. Aber wenn ich weiterfrage: „Möchtest du glücklich sein?“, dann käme gewiss die Antwort: „Selbstverständlich. Gibt es einen Menschen, der nicht glücklich sein möchte?“ Alle möchten glücklich sein, bloß – wie macht man das? Es ist interessant, zu sehen, wie die Menschen alle dem Glück nachjagen, und an welch seltsamen Plätzen sie es oft suchen. Der eine wartet auf das große Glück im Lotto. Der andere ist glücklich, wenn er abends auf seiner Terrasse sitzen und ein Glas Rotwein trinken kann. Ein anderer sucht Glück im Alkohol oder in modernen Glücksdrogen. Ein Kind ist glücklich, wenn es unter dem Weihnachtsbaum seine Geschenke auspackt. Für viele ist Geld der Schlüssel zum Glück, aber kann man Glück kaufen? Liegt das Glück im Konsum? Wenn man mit einem sehr bescheidenen Glück zufrieden ist, dann vielleicht. Aber wenn du einmal auf dein Leben zurückschaust und dich fragst: „Wann war ich in meinem Leben einmal wirklich glücklich?“, dann fällt dir wohl nicht der Treffer im Lotto oder die letzte Gehaltserhöhung ein. Wann hast du einmal ein großes Glück erlebt? Dann antwortest du vielleicht: „Ja, damals, als ich verliebt war. Da war ich bis über beide Ohren verknallt. Als meine Freundin mir den ersten Kuss gab, da war ich wie im Himmel!“. Es muss nicht das Glück der ersten Liebe sein. Die Älteren werden sich vielleicht noch erinnern: Eine Frau hat jahrelang auf ihren Mann gewartet, der in russischer Kriegsgefangenschaft war. Der Mann klopft eines Tages an die Tür. Die beiden liegen sich in den Armen, weinen vor Glück. Oder eine Mutter kann ihr Kind umarmen, das nach langer Krankheit endlich wieder gesund geworden ist. Das ist Glück. Nein, dieses Glück kann man nicht kaufen.

Fragen wir: Worin besteht dieses Glück? Ein anderer Mensch kann mein höchstes Glück sein, das ist das Gemeinsame all dieser Beispiele. Einen Menschen zu lieben, von ihm geliebt zu werden, das macht glücklich. Ich denke, das ist eine wichtige Einsicht.

Vom höchsten Himmel in die tiefste Hölle

Aber nun das Nächste. Das Glück der ersten Liebe dauert oft nicht lange. Die Freundin kann mich verlassen. Der geliebte Mann kann in russischer Gefangenschaft sterben und nicht nach Hause kommen. Und die Mutter kann ihr geliebtes Kind durch Krankheit verlieren. Welche Katastrophen! Hier verwandelt sich das unsägliche Glück der Liebe in unsäglichen Schmerz, unsägliches Leid. Je mehr dieser Mensch mein einziges, mein höchstes Glück war, desto mehr stürzt mich sein Verlust vom höchsten Himmel in die tiefste Hölle, und die Erinnerung an das verlorene Glück macht den Verlust nur um so schrecklicher.

Doch du möchtest ja dauerhaft glücklich sein, und nicht nur für kurze Zeit. Die Person, die du liebst und die dich wiederliebt, muss also dauerhaft sein. Sie muss treu sein und dich nicht verlassen. Sie muss den Wandel und den Tod überdauern. Du bist also auf dem richtigen Weg, wenn du erfährst: mein Glück liegt darin, jemand wirklich zu lieben und von ihm geliebt zu werden. Nur musst du diesen Weg noch ein wenig weiter gehen, denn ein Mensch kann es nicht sein. Auch Gott ist eine Person. Auch er kennt dich und liebt dich, mehr als irgendein Mensch. Auch zu ihm kannst du in die Beziehung einer tiefen Liebe eintreten, die dich glücklich macht. Dann kannst du zu Gott sagen: „Mein ganzes Glück bist du allein“ (Psalm 16,2).

Auch hier ist es wie bei der menschlichen Liebe: das Glück ist da, aber man spürt es nicht immer gleich stark. Manchmal spürt man es gar nicht. Es wäre gelogen, zu sagen wie unser pakistanischer Jugendlicher: „Ich lebe in ständigem Glück“. Aber man weiß: das Ziel meines Lebens ist ein unsägliches Glück bei Gott. „Was kein Auge geschaut und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1. Korintherbrief 2,9). Die Hoffnung auf dieses Glück gibt mir einen langen Atem. Ich kann hier manches aushalten, auch wenn es mir mal dreckig geht. Ich weiß: Gott ist bei mir, und ich werde ihn einmal sehen in einer Freude, die „kein Auge geschaut“ hat.

Das wünscht dir dein Karl Neumann