9. Glaubensbrief - Februar 2007   PDF-Zeichen als PDF-Datei (113 kB)

Lob des Zweifels

 
Der Zweifel ist bei den Gläubigen nicht gerade beliebt. „So fängt der Unglaube an!“, kann man hören. „Ein guter Christ zweifelt nicht“. Doch ich habe Angst vor Menschen, denen nie Zweifel an ihrem Glauben gekommen sind.

Es dreht sich im Kreis
 

Ich war zuhause in meinem Dorf. Dort war einer, der nicht mehr in die Kirche ging – ja, partout nicht mehr glauben wollte. Ein schwarzes Schaf unter lauter frommen Lämmern sozusagen. „Du studierst doch Theologie“, sagte man mir, „du musst den doch wieder zum Glauben zurückbringen können!“. Sie stellten sich das sehr leicht vor. Der Glaube war doch selbstverständlich richtig, alle im Dorf glaubten ja. Und sie waren sehr erstaunt, als ich sagte: „Der Glaube scheint euch selbstverständlich, weil ihr hier in der kleinen engen Welt eures katholischen Dorfes lebt. Aber geht mal in die Großstädte, geht in die Universitäten, da bekommt ihr ein ganz anderes Bild“.

Viele kennen keine Glaubenszweifel, weil sie nie aus ihrem christlichen Milieu herauskommen - innerlich jedenfalls. Sie haben noch nie von den tiefen und schweren Glaubensproblemen gehört, die es heute gibt. Sie haben keine Ahnung von den Glaubenskämpfen, die heute ausgetragen werden. Darum halten sie ihren Glauben für selbstverständlich.

Und mehr noch: sie brechen über andere den Stab. Fühlen sich in ihrer Geistesenge hoch erhaben über die anderen. Halten die Prägung durch ihr christliches Milieu schon für Glauben.

Geh nicht mit Scheuklappen durch die Welt

Doch der Glaube ist geistige Weite. Man kann es an Jesus von Nazareth sehen, an seinem Kampf gegen die Enge der Pharisäer und Schriftgelehrten.

Wir Christen brauchen nicht mit Scheuklappen durch die Welt zu laufen. Wir sollen den Mut haben, über unseren Glauben nachzudenken. Auch wenn uns dabei manchmal Zweifel kommen.

Meine Großmutter soll ihrer Tochter (meiner Mutter) folgenden Rat gegeben haben: „Kinder, macht die Augen zu und glaubt!“ soll sie gesagt haben. Ich will über eine längst vergangene Zeit nicht urteilen. Aber ich frage mich doch: Was ist das für ein Glaube, wo man die Augen nicht aufmachen darf? Das, finde ich, ist kein besonders fester Glaube, denn man hat ja Angst: Wenn ich die Augen aufmache, kann ich vielleicht nicht mehr glauben.


Mut machen, das Leben zu meistern
 

Ich würde vielmehr sagen: „Kinder, macht die Augen auf und glaubt!“. Schaut euch ruhig um. Schaut euch an, was die Menschen heute so denken. Seht euch ruhig auch die Argumente der anderen Seite an.

Es wäre ja schlimm, wenn das Flämmchen eures Glaubens so schwach wäre, dass es keinen Windhauch vertragen könnte. Das wäre so, wie wenn eine Mutter ihr Kind zu sehr behütet. Damit tut sie ihm keinen Gefallen, sondern es wird krank. So ist es auch mit dem Glauben.

Ich möchte euch sagen, dass ihr nicht ängstlich zu sein braucht. Glaubensprobleme und Glaubenszweifel sind fast unvermeidlich, wenn man tiefer über seinen Glauben nachdenkt. Aber sie können ein Weg sein, seinen Kinderglauben hinter sich zu lassen und zu einem vertieften Glauben zu kommen. Einem Glauben, der auf festeren Füßen steht.

Mach aus der Not keine Tugend

Doch bei all dem Positiven, das ich über den Zweifel gesagt habe: ich möchte auch da nicht einseitig werden. Wenn man heute manche Prediger hört, könnte man meinen, der Zweifel sei das Ideal des Glaubens. Doch bei allem Respekt, den ich vor dem Zweifel habe: das Ideal des Glaubens ist er nicht. Man soll aus der Not des Zweifels keine Tugend machen. Die Versuchung ist natürlich groß, wenn man in der Not des Zweifels steckt, dann nach dem Sprichwort „Die Trauben sind mir zu sauer“ zu sagen: „Was ich nicht erreichen kann, das will ich auch gar nicht; ein zweifelnder Christ ist der ideale Christ“. Das ist ein Trick, den man durchschauen sollte.

Die Sache wird klarer, wenn wir auf den Apostel Thomas schauen, den „Schutzpatron der Zweifler“ sozusagen.

Nach dem Johannesevangelium (20, 24 – 29) war er nicht dabei, als Jesus am Abend des Ostertages den Aposteln erschien. Er zweifelte, als sie ihm davon erzählten. Mit eigenen Augen wollte er die Wundmale des Auferstandenen sehen. Acht Tage später erschien Jesus wieder, nun war Thomas dabei, und der konnte sich durch den Augenschein überzeugen. Er durfte sogar die Wundmale des Auferstandenen berühren.

Thomas, der Schutzpatron der Zweifler

Thomas glaubte nicht alles, was die anderen sagten, und er wird deshalb von Jesus nicht getadelt. Jesus tut ihm seinen Willen. Ja, dieser Zweifler wird gar dadurch belohnt, dass er, wie er es gewünscht hatte, seine Finger in Jesu Nagelwunden und seine Hand in Jesu Seitenwunde legen darf. Das ist die positive Seite des Zweifels.

Der Zweifel ist hier allerdings etwas, das überwunden wird. Er ist ein Durchgangsstadium, kein Ideal und kein Endzustand. Am Ende fällt Thomas gläubig vor dem auferstandenen Herrn nieder und ruft aus: „Mein Herr und mein Gott“.

So leicht wie bei Thomas wird es bei euch nicht gehen, vom Zweifel zum Glauben zu kommen. Vielleicht wird sich Zeit eures ganzen Lebens Glaube und Zweifel seltsam mischen. Das ist vor Gott nicht so schlimm, wenn ihr nur weitergeht auf eurem Weg; wenn ihr nicht aufhört, ehrlich nach der Wahrheit zu suchen.

Das wünscht euch von Herzen

Euer Karl Neumann