Karl Neumann: Glaubenskurs OnlineFünfter Brief, April 2003:

 

"Du glaubst ja nur, weil du so erzogen wurdest"

Es ist doch seltsam, dass die allermeisten von uns dem Glauben anhangen, in dem sie geboren und erzogen worden sind. Die Katholiken halten den katholischen Glauben für richtig - zufällig ist es der, in dem sie auch geboren sind. Die Protestanten ebenso ihre protestantische Überzeugung. Und man kann noch weiter gehen: Wären wir überhaupt Christen, wenn wir, sagen wir, in Indien aufgewachsen wären? Wohl kaum. Wahrscheinlich wären wir dann Hindus und würden unsere Hindu-Religion für die richtige halten.

Natürlich gilt das auch für den Unglauben. Wäre ich im Russland der Stalinzeit aufgewachsen, dann wäre ich wahrscheinlich ein Atheist und würde den Atheismus für die einzig richtige Weltanschauung halten - zufällig genau die, in der ich auch erzogen wurde.

Was folgt daraus? Für die meisten Zeitgenossen ist die Folgerung ganz klar: Es ist lächerlich, sich um die Wahrheit von katholisch oder evangelisch, christlich oder nichtchristlich, gläubig oder ungläubig zu streiten, wenn man in Wirklichkeit dabei doch nur seine eigene Tradition absolut setzen will. Sind die Konfessionen nicht alle gleich gültig? Sind die Religionen nicht alle gleich gut? Und ist auch Glaube und Unglaube nicht Traditionssache?

Warum ich andere belästige

Wie käme ich also dazu, hier im Internet einen Glaubenskurs anzubieten? Ich muss leider gestehen, ich bin katholisch-christlich geboren und erzogen. Ich habe den Glauben, den ich hier vertrete, von Kindheit an aus Tradition übernommen. Warum belästige ich also andere Leute damit? Leute, die eine andere Tradition haben. Sollen sie doch nach ihrer Fasson selig werden.

Natürlich kann man sagen: Dies hier ist ja ein Informationskurs. Warum soll ich nicht Leute, die es interessiert, über die christliche und katholische Tradition informieren. So wie ich etwa einen Japaner über Deutschland informiere, ohne dass ich erwarte, dass er ein Deutscher wird.

Aber nein, ich muss gestehen: ich möchte mehr. Ich möchte nicht nur über den Glauben informieren, ich möchte auch argumentieren, ja ich möchte überzeugen - in voller Freiheit natürlich.

Wir werden aufs Christentum abgerichtet

Nun muss ich präzisieren, was ich oben sagte: Gewiss, ich bin katholisch aufgewachsen, aber mir ist schon früh bewusst geworden, dass das nicht genügt. Wer nur deshalb katholisch ist, weil er katholisch geboren und erzogen wurde (oder evangelisch ist, weil er evangelisch geboren, oder atheistisch, weil er atheistisch geboren wurde), dessen Glaube oder Weltanschauung ist Zufall. Ist Tradition und kein Glaube. "In unserer Kultur wird man aufs Christentum abgerichtet, katholisch im Süden, protestantisch im Norden. Das schüttelt man nie wieder ab. Glauben ist etwas anderes". Da hat Peter Praschl völlig Recht (vgl. den ersten Brief des Glaubenskurses).

Zur Zeit der Pubertät, wenn man anfängt, selber zu denken auch in Glaubensfragen, habe ich mich gefragt: "Ist das auch wahr, was dir da vom Glauben erzählt wurde?" Ich fing an, die Glaubenszeugnisse, also vor allem die Bibel, auf ihre Verlässlichkeit zu prüfen - mit den einfachen Mitteln, die mir zur Verfügung standen. Etwas anderes hatte ich ja nicht. Ich weiß noch, wie ich mich mit meinem Religionslehrer gestritten habe, weil er die Evolutionslehre ablehnte.

Was, wenn sich der Glaube bei dieser Prüfung als falsch herausgestellt hätte? Dann, sagte ich mir, musst du ihn aufgeben. Du musst dich zu der Weltanschauung bekehren, die du als richtig erkennst. Später habe ich erfahren, dass der maßgebende Kirchenlehrer Thomas von Aquin etwas ganz Ähnliches sagt. Einer, der seinen Glauben sicher als falsch erkennt, sagt er, ist im Gewissen verpflichtet, ihn aufgeben. Denn der Mensch muss auf jeden Fall der erkannten Wahrheit und seinem Gewissen folgen.

Die Feuerprobe

Doch damals und auch später hat sich bei all den Prüfungen mein Glaube nicht als falsch herausgestellt. Wohl hat er sich gewandelt, ist mit mir gewachsen, manche Äußerlichkeiten sind abgefallen, auch Zweifel nagten ihn an, ich bin weiterhin offen für jede bessere Einsicht, aber der Glaube selbst ist geblieben. Ich hänge ihm an, nicht weil ich so erzogen wurde, sondern weil er sich im Ganzen als richtig herausgestellt hat.

Ich bin natürlich nicht der einzige, dem es so ergangen ist. Ja, es müssten eigentlich alle Christen durch eine solche Feuerprobe gehen, der eine mehr, der andere weniger. Der christliche Glaube ist von Anfang an aufgetreten mit dem Anspruch, mehr zu sein als eine der vielen Traditionen. Er wollte, ganz einfach gesagt, wahr sein, und hatte das Vertrauen, auch andere überzeugen zu können. Am Anfang war es doch so: Man wurde Christ, indem man sich bekehrte, d.h. den Weg von einer anderen Religion zum Christentum fand, nicht selten nach einer langen Odyssee. Und auch heute noch wechseln nicht wenige ihre Konfession oder ihren Glauben, weil sie eben nicht mit ihrer jeweiligen Tradition zufrieden sind, sondern nach der Wahrheit suchen. Ich habe das in Japan oft und oft erlebt. Und auch in Deutschland gibt es mehr als 10 000 im Jahr, wie ich im ersten Rundbrief sagte.

 

Achtung vor dem Unglauben

Natürlich habe ich deshalb auch Achtung vor denen, die sich anders entscheiden, wenn sie sich wirklich entscheiden. Ich habe Achtung vor jedem, der nach der Wahrheit sucht. Der Glaube sollte keine bloße Tradition sein, und auch der Unglaube sollte mehr sein als bloße Tradition .

Um was es mir geht, will ich zum Schluss ganz krass sagen. Es ist auch eine Anklage gegen eine gewisse Art, das Christentum zu leben.

Es geht darum: Ist das Christentum überhaupt eine Religion, die eine Botschaft zu verkünden hat, die Glauben wecken, andere überzeugen will, oder ist die christlich Kirche "die traditionelle, fast folkloristische Institution religiöser Verbrämung des Lebens für die, die als Kinder von katholischen Eltern getauft wurden und darum eben dieses religiöse Brauchtum fortzuführen haben?" (Karl Rahner, Theologe).

Was meinen Sie? Sie können gern darüber mit mir in ein Gespräch eintreten.

Ihr
Karl Neumann

karlneumann@glaubensinformation.de